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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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auf ein Tor in der Mauer, bleiben aber zurück. Wir sollen alleine da durchgehen? Was ist dahinter? Ich spüre eine instinktive Scheu, drehe mich nach David um, der mir zuflüstert: »Es ist alles in Ordnung.« Aber woher weiß er das? Wie kann er nur immer so gelassen bleiben? Spielt er mir etwas vor?
    Wir schlüpfen durch das Tor und stehen in einem etwa zwanzig Quadratmeter großen Innenhof, der durch eine Wand geteilt ist. Vor uns stehen drei in bunte Tücher gehüllte junge Frauen. Eine hält ein Baby auf dem Arm, Kinder stehen zwischen ihnen, die Frauen lächeln uns freundlich an.
    Junkies Mutter führt uns in ein kleines Haus, das aus einem einzigen Raum besteht. Sechs Betten stehen darin, die typischen mit Schnüren überspannten Holzgestelle. Wir setzen uns auf den Boden und bekommen Teller mit Ananasscheiben aus der Dose und Chai. Die beiden Wachen haben sich zu uns gesetzt und stellen Fragen. Allerdings auf Paschtu. Wir verstehen nichts.
    Junkies Mutter läuft aufgeregt hin und her, redet auf die Männer und ihren Sohn ein, der hereinkommt und mit Gestensprache fragt, ob wir duschen wollen. Das letzte Mal haben wir vor der Entführung geduscht, am 30.   Juni. Natürlich nehmen wir das Angebot an.
    Doch da zieht Junkies Mutter mich am Arm, wir gehen durch den Innenhof und kommen in den Frauenbereich. Es tut gut, nach acht Tagen in Kontakt zu weiblichen Wesen zu treten. Die Frauen lachen, begrüßen mich herzlich und erklären mir ihr Bedauern darüber, dass sie kein Englisch verstehen. Sie führen mich in ihren Wohnbereich, ein großer Raum, in dessen Mitte ein Feuer brennt. Ein Topf hängt darüber. Im Zwielicht sehe ich ein paar Betten an den Wänden stehen, in einer Ecke liegt ein kleines Bündel in einer Hängematte. Junkies drei Wochen alte Tochter, wie ich erfahre.
    Junkies Frau ist sehr aufmerksam, bringt mir Kleider aus bunten Stoffen und gibt mir zu verstehen, dass dies Geschenke für mich seien. Aber mir sind diese arabischen Frauenkleider unheimlich. Ich mag mich nicht verhüllen, will lieber weiterhin so aussehen wie meine Bewacher und David. Die Frauen können nicht verstehen, warum ich Hose, knielanges Hemd und Turban tragen will.
    Dann kommt das, was Junkie uns als Dusche angekündigt hat. In einem kleinen fensterlosen Raum ist eine Sickergrube, aus deren Öffnung es stinkt. Es gibt kein fließendes Wasser, aber einen großen Eimer mit warmem Wasser. Junkies Mutter bringt mir außerdem frische Männerkleider, eine lange Unterhose und ein Stück Seife, das nach Sandelholz duftet. Ich trete hinter einen Plastikvorhang, tauche die Hand in das angenehm laue Wasser.
    Wo ist David? Seine Stimme ist nicht zu hören. »David«, rufe ich. »David!«
    Ich sehne mich danach, endlich all den Dreck, die Parasiten, den Schweiß, die Verkrustungen dieser acht Tage abzuspülen. Aber mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, mich hier auszuziehen, während das aufgeregte Gewisper und Getuschel der Frauen hereindringt.
    Es dauert einen Moment, ehe Davids Antwort ertönt.
    »Kannst du hierbleiben?«, frage ich.
    »Sicher.« Er stellt sich vor den Plastikvorhang, während ich endlich aus den verdreckten, von Flöhen bevölkerten Kleidern steige und meine von roten Bissspuren übersäten Arme, meinen Kopf und meine Beine in das Wasser tauche, mich einseife und langsam meinen ganzen Körper wieder spüre. Die Schultern, den Nacken, die Achselhöhlen. Zweihundert Flohbisse zähle ich an mir.
    Aber plötzlich geht es mir gut. Die Sonne ist untergegangen, kühle Abendluft zieht herein, die frischen trockenen Kleider hüllen mich wohlig ein. Vielleicht bin ich jetzt sogar die Flöhe los. Ich schließe einen Moment die Augen und denke an zu Hause, glaube die trockenen Holzbalken an den Fingerspitzen zu spüren, die unsere Dachwohnung überspannen und mir ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, mein großes, stabiles Zwei-Mann-Zelt, über dem sich der Himmel spannt, denke ich immer.
    Ich warte, während auch David sich wäscht und in Kleider von Junkie schlüpft, die ihm ein wenig zu knapp sind. Junkie gibt uns Anweisung, unsere Sachen den Frauen zu übergeben, diese würden alles für uns waschen. Auch das Moskitonetz und mein Kissen. Wir lassen meine Tasche und Davids Klangschale zurück. Ich bekomme ein großes graues Tuch, das ich über Kopf und Schultern schlagen soll.
    Die Klangschale, die David in Indien gekauft und der er stundenlang tiefe, singende Töne entlockt hat, werden wir für lange Zeit das letzte Mal

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