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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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lange wird es dauern, bis man uns freilässt?«
    Der Doktor senkt den Blick und sagt mit resignierter, aber fast zärtlicher Stimme: »It takes time, Dany.« Ich spüre einen Stich, schaue David an, der mich wie immer mit einem Lächeln aufmuntern will.
    Wir seien in einer viel besseren Situation als der Arzt, meint David später, unser Land werde uns nicht im Stich lassen, es werde die Verhandlungen zu einem guten Ende bringen. Im Übrigen seien wir als Schweizer nicht in einen Krieg gegen die Taliban involviert, im Gegensatz zu England und Pakistan.
    Als einer der halbwüchsigen Burschen Essen aufträgt, greift David wie gewohnt zu. Er versucht bewusst, möglichst viel Energie aufzunehmen, egal ob es sich um Innereien oder Kohlenhydrate handelt. Ich dagegen muss mich überwinden, einen Happen zu nehmen. Da sagt der Doktor: »Ihr müsst euch ausreichend ernähren. Esst.«
    Wir schauen ihn fragend an.
    »Eine weite Reise steht euch bevor.«
    Wieder glauben wir, nicht richtig verstanden zu haben.
    »Das kann nicht sein«, antworte ich, »wir haben die Reise schon hinter uns. Wir wurden aus Loralai verschleppt. Jetzt sollen wir hier warten, bis das Lösegeld eintrifft.«
    Der Doktor schüttelt den Kopf. »Ihr werdet gleich weggebracht.«
    Ich spüre wieder dieses ungute Flirren im Magen. Eine lange Reise … Wo soll die hinführen? In ein anderes Stammesgebiet? Nach Afghanistan? Wo können die Taliban uns am besten überwachen, mit dem geringsten Risiko und dem größten zu erwartenden Profit? Oder geht es ihnen nur darum, leichter mit der Schweiz in Kontakt treten zu können? Die Übergabe einfacher zu gestalten?
    Junkie ist unser Gespräch offensichtlich suspekt. Er kommt und spannt den Doktor wieder als Dolmetscher ein, stellt Fragen über unsere Familien, unsere Kinder und unser Berufsleben. Eine merkwürdige Anspannung erfüllt den Raum. Die Mischung aus Angst, Ohnmachtsgefühl und Hoffnungslosigkeit, die seit dem 1.   Juli in meinem Magen liegt, wird noch schwerer. Am liebsten würde ich schreien, losrennen, den Kopf gegen die schmutzige Wand schlagen.
    Während zum Abschluss des Mahles Tee aufgetragen wird, nehmen die Männer ihre Waffen und ihr Gepäck. Tatsächlich brechen wir auf. Junkie erklärt uns, wir müssten nochmals das Haus wechseln, es seien nur drei Stunden Fahrt, der Doktor würde uns begleiten.
    Also hatte der Doktor wieder die Wahrheit gesprochen. Wir sind außer uns und versuchen, uns zu wehren. Wir wollen nicht schon wieder in einen Geländewagen gesperrt und durch feindliches Terrain gekarrt werden, in der Angst, im Kugelhagel zu sterben. Wir wollen nicht schon wieder in der Finsternis ein unbekanntes Gefängnis betreten. Aber Junkie gibt nichts auf unseren Protest. Es sei hier zu gefährlich, die Armee sei in der Nähe.
    Geißenpeter holt unsere Sachen, dann werden wir ins Auto bugsiert. Wir sitzen, gemeinsam mit dem Doktor, auf der Rückbank und sind deprimiert.
    »Es dauert nur eine halbe Stunde«, lässt Junkie uns über den Arzt erklären. Vor den anderen Leuten habe er nicht die Wahrheit verraten wollen. Wir müssten das Versteck wechseln, weil man vielleicht durch die Schüsse auf uns aufmerksam geworden sei.
    »Durch das Geballer in die Luft? Diese Idioten«, denke ich.
    Nach genau dreißig Minuten im Schritttempo – durch tiefe Schluchten und über karstige Bergkämme – hält Junkie in einem ausgetrockneten Bachbett an. Die Sterne leuchten, im hellen Mondlicht erkennen wir bewaldete Hänge und zur Rechten einen Unterstand, in dem zwei farbige Pick-ups und ein weißer Toyota parken. Daran schließt sich ein gemauertes Gebäudeensemble mit einem Holztor an. Etwa zehn bärtige Männer, vermutlich über Funk verständigt, kommen durch das Tor. Sie tragen die für die Gegend typischen Rundhüte, Waffen sowie den schwarzen Lidstrich, der ihre Augen wild und groß wirken lässt. Sie starren uns neugierig, aber nicht unfreundlich an.
    Wir sollen aussteigen, gibt uns Junkie zu verstehen. Wieder stellt er uns vor, indem er von unseren sportlichen Aktivitäten berichtet, wir hätten zwei Kinder usw. Er übergibt uns einem großen, Furcht einflößenden Mann mit zerfurchtem Gesicht, anscheinend der Chef hier. Junkie lässt uns durch den Doktor sagen, dass wir ab morgen ein Doppelzimmer hätten, welches diese Nacht allerdings noch belegt sei. Er setzt sich mit seinen Mitstreitern in den Jeep und fährt davon, während wir drei zurückbleiben, in einer fremden Umgebung, inmitten unbekannter,

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