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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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die trüben Glühbirnen in den beiden Haupträumen und zwei offene Stromkabel, an denen die Männer und die größeren Jungs ihre Handys aufladen. Zwar haben sie keinen Empfang in dieser Gegend, aber alle brüsten sich mit ihren für unsere Begriffe veralteten Mobiltelefonen, auf denen sie sich Fotos anschauen und Klingeltöne dudeln lassen – stundenlang und in enervierender Lautstärke. Um sie nicht zu enttäuschen, spielen wir ihnen Begeisterung vor.
    Wir sind in einer Talsohle, um uns erheben sich tannenbewachsene Hügel und Hänge. Rund hundert Meter flussaufwärts im Wald liegt die Freilufttoilette, die wir in Begleitung von Wachen und einem Eimer Wasser aufsuchen dürfen.
    Über uns hören wir ein Surren wie von Rasenmähern. Schlanke, graue Flugzeuge drehen ihre Runden. Es sind amerikanische Drohnen. Von nun an werden sie ein fester Bestandteil unseres Lebens sein. Bei gutem Wetter kreisen diese unbemannten Flugkörper namens »Predator« (»Raubtier«), an denen Kameras, Hellfire-Raketen und 500-kg-Bomben hängen, über unseren Köpfen. Pilot und Co-Pilot sitzen in einer Basis, die Tausende von Kilometern entfernt liegt. Sie sehen auf uns herab, von einer Leitstelle in Saudi-Arabien oder in New Mexico aus, einen Becher Kaffee in der einen Hand und einen Joystick in der anderen. Der Pilot lenkt das Flugzeug, sein Co-Pilot, der neben ihm sitzt, bedient die Kameras und die Waffensysteme. Falls sie etwas Interessantes entdecken, reden sie kurz miteinander, beschließen, näher heranzugehen, den Radius der Ellipsen einzuengen, womöglich eine Rakete auszulösen …
    Am Ende ihrer Schicht werden sie abgelöst, gehen nach Hause, während die Drohnen, die sechzehn Stunden am Himmel bleiben können, weiterfliegen. Die Piloten setzen sich unterdessen mit ihren Frauen und Kindern zum Abendessen nieder, dann vor den Fernseher. Ich stelle mir vor, wie sie sich auf der Couch räkeln, die Fernbedienung in der Hand, wie sie wieder auf einen Monitor starren, auf dem jetzt allerdings nicht unser Tannenwäldchen zu sehen ist, die im Unterstand versteckten Pick-ups, sondern »Tom & Jerry« oder Bruce Willis in »Stirb langsam – Jetzt erst recht«. Am nächsten Morgen werden sie sich wieder in ihre Autos setzen und zur Basis in Alamogordo oder nach Washington fahren und wieder auf die Bildschirme starren. Sie werden zu »unserem Tannenwald« zurückkehren, werden wieder unsere Weggabelung überwachen, die Männer, Frauen und Kinder, die in ihren Gummisandalen durch das Bachbett laufen, mit den Ziegen und den Kalaschnikows spielen. Sie werden auch David und mich wiedersehen, wie wir uns zwischen die Nadelbäume kauern und »auf Toilette« gehen. Ob sie sich Fragen stellen angesichts einer ungewöhnlich großen Frau und eines hellhäutigen Mannes, die offenkundig fremd sind in dieser Gegend und von bewaffneten Männern eskortiert werden?
    Ich erwache am Morgen um fünf, weil in unserem Zimmer Betrieb herrscht: das erste obligatorische Gebet des Tages. Eine Viertelstunde lang psalmodieren die Stimmen der zehn Männer, rascheln die Kleider, klappern die Gebetsketten, dann ist wieder Ruhe, und ich döse noch einmal ein, flüchte mich in Träume von der Schweiz. Zwei Stunden später sind wir endgültig wach. Der Arzt sitzt auf dem Bett neben uns und lächelt uns aufmunternd an. Männer kauern auf dem Boden, in dieser Hockstellung, die uns so dämlich vorkommt, auch wenn wir nicht recht wissen, warum. Seit wir gefangen sind, verschieben sich unsere Affekte. Kleinigkeiten bringen uns aus der Fassung, Kleinigkeiten spenden uns Trost. Die Männer trinken Tee und betrachten uns ungeniert. Sie bieten uns ebenfalls zu trinken an und glotzen weiter, wie wir die Gläser in die Hand nehmen, wie wir uns durchs Haar fahren, wie wir uns aufsetzen. Nichts scheint ihnen zu entgehen, nichts banal für sie zu sein. Wenn sie nur bei wichtigen Dingen dieselbe Neugier an den Tag legen würden. Wenn sie sich nur ein bisschen in uns einfühlen könnten, denke ich.
    Der Dorfchef, Sedrachman, ein Mann Mitte Vierzig, mit langem Bart und relativ frischer Kleidung, fragt, was wir essen wollen. Der Doktor fungiert wieder als Dolmetscher. Aber wir sind nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Uns ist alles gleichgültig, wir haben nur einen Wunsch: Wir wollen in die Schweiz. Und bis dahin in das versprochene Doppelzimmer. Wir wollen raus aus diesem überfüllten Pferch.
    Tatsächlich werden wir von zwei Männern abgeholt, die uns durch den

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