Und morgen seid ihr tot
bewaffneter Menschen. Das bisschen Sicherheit, das Junkie uns gegeben hat, ist nun weggebrochen.
Wir folgen den Männern durch das Holztor in einen engen, mit Abfall übersäten Innenhof, der durch einen Schrank und ein paar Klappstühle noch beengter wirkt. Noch wissen wir es nicht, aber dies werden für lange Zeit die einzigen Stühle sein, die wir zu sehen bekommen.
Man führt uns nach links in einen Raum, aus dem uns feuchte, abgestandene Luft entgegenschlägt. Auf dem Erdboden stehen fünf Holzbetten im Kreis, dahinter ramponierte Eisengestelle, auf denen schmutzige Decken liegen. Eine Lampe mit schummrigem Licht hängt von der Decke. Alles macht einen so verwahrlosten, klaustrophobischen Eindruck, dass mir der Atem stockt. Ein Gefühl von Beklemmung, von haltloser Verzweiflung befällt mich in diesem Raum. Er ist das Gegenteil von der unendlichen Leere der Steinwüste, die mir so zugesetzt hatte, aber der Effekt ist derselbe. Unsere Bewacher scheinen es zu spüren und führen uns durch den etwa zwanzig Quadratmeter kleinen Innenhof in einen anderen Raum. Wohl eine Art Schmuckkästchen, denn an der Wand klebt eine Fototapete, in der Mitte liegt ein türkischer Teppich. Doch der Rest der Ausstattung ähnelt dem engen Zimmer: Um den Teppich herum stehen zahlreiche Betten. Die vier kleinen Fenster sind verhängt, von der Decke baumelt auch hier eine trübe Funzel. Ich fühle mich wie in eine Saftpresse eingeklemmt.
»Wir haben keine Wahl, wir müssen hier bleiben«, sagt der Doktor. »Du bist ein starkes Mädchen, Daniela.«
»Morgen können wir in das schöne Doppelzimmer umziehen«, sage ich zu David, »das hat Junkie versprochen.«
David reagiert nicht. Er steuert zielsicher eines der Eisengestelle an und legt sich hin, ich verkrieche mich hinter seinem Rücken, während zehn Augenpaare uns teilnahmslos betrachten. David hat das Bett an der Wand gewählt, von dem aus man beide Eingänge im Auge behalten kann. Der Doktor legt sich in das Bett neben uns.
»Junkie will morgen um neun mit einem Telefon zurückkommen. Dann können wir in der Heimat anrufen, und die Verhandlungen beginnen«, flüstere ich David zu, der einen deprimierten Eindruck macht.
Der Doktor raunt uns zu, wir sollten uns vor Junkie hüten. Er sei tablettensüchtig und nicht zurechnungsfähig. Wieder wollen wir dem Arzt keinen Glauben schenken. Junkie hat in dieser Woche ausgesprochen zielstrebig und »professionell« gewirkt. Er konnte besser mit Autos, Waffen und Gefahren umgehen als all die anderen Schlepper. Seine Männer gehorchen ihm, er hat alle wesentlichen Zusagen eingehalten. Nur sein Zeitbegriff ist schwammig.
Ich schlafe ein, während David über die neue Lage nachgrübelt. Wir sind im Nirgendwo, umgeben von bewaffneten Unbekannten. Männer, denen ich noch nicht zum x-ten Mal die Frage gestellt habe, ob sie uns am Leben lassen werden. David versucht, sich jeden Einzelnen einzuprägen, die Rolle des Dorfchefs zu verstehen. Ist er unser neuer Amir? Die sechs Männer fangen zu beten an, sind so nahe, dass David sie berühren könnte in dem niedrigen Verschlag. Er hofft, dass nicht alle bei uns im Zimmer übernachten werden. Nach dem Gebet palavern sie in uns unverständlichem Paschtu, starren uns an, spucken in ihre Näpfe. Worüber reden sie? Über unseren Marktwert? David ist froh, dass ich hinter seinem Rücken versteckt liege, dicht an der Wand, an der die stockfleckige Fototapete, eine Abbildung eines japanischen Zen-Gartens, klebt. Das Bett ist so schmal, dass wir nur auf der Seite liegen können, die Plastikriemen schneiden sich in unsere Flanken. Bei jeder Bewegung des anderen wachen wir auf, und dann sind da wieder die quälenden Gedanken.
Unser neues Zuhause ist eine Art Weiler, zwei ärmliche Behausungen aus Lehmmauern und ein kleiner Laden, die an einer ausgetrockneten Flussgabelung liegen, einer der vielen Wasserläufe, die in den trockenen Monaten als Straße benutzt werden. Ansonsten gibt es in der Gegend nur zwei, drei asphaltierte Pisten, die plötzlich im Nirgendwo enden.
Wir sind im Männerhaus untergebracht, zwei Räume um den engen Innenhof. Nach hinten hinaus liegt eine kleine Terrasse mit einer hüfthohen Umgrenzungsmauer, die einen Ausblick über das ausgetrocknete Flussbett gestattet. Auf der anderen Seite des Bachbetts liegt das Frauenhaus, nicht mehr als ein quadratischer Raum mit Feuerstelle, an den sich drei Viehställe anschließen. Es gibt kein Stromnetz, ein Solarpaneel auf unserem Dach versorgt
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