Und morgen seid ihr tot
und Tomaten kochen können. Dass auch heute Abend Nase nicht kommen werde.
Wir tigern durch unser Zimmer, wissen nicht, wohin mit unserer Wut, und beschließen, mit unseren Bewachern zu reden. Wir müssen ihnen klarmachen, dass sie uns so nicht behandeln können. Ihr Zimmer ist gleich nebenan. Sie sitzen davor auf ihrer Gummimatte, von wo aus sie uns wie immer beobachten. Das bringt uns noch mehr gegen sie auf. Sie leben in den Tag hinein, schlafen die meiste Zeit, vielleicht weil sie jetzt im Ramadan wenig Energie haben, vielleicht weil sie einfach faul und teilnahmslos sind, wir wissen es nicht. Was wir dagegen wissen, ist, dass wir so nicht weiterleben können. Wir werden buchstäblich krank, verrückt. Wir wollen vernünftig mit ihnen reden, sie müssen doch einsehen, dass wir wenigstens eine ungefähre Vorstellung haben müssen von dem, was uns erwartet. Ob wir in einem Tag gehen dürfen, in einer Woche oder in einem Monat. Doch wir können nicht vernünftig reden, sie hocken da, verstehen uns nicht. Wir haben die wichtigsten Vokabeln auf Paschtu gelernt: Salz, Zucker, Brot, essen, trinken, warten, morgen, bald usw. Damit versuchen wir unser Problem zu erklären. Sie wirken ratlos, versuchen uns zu beschwichtigen und fangen wieder an, Ausreden zu erfinden. Irgendwer von ihren Unterhändlern sei wegen Malaria ausgefallen, es gebe im Moment zu viele Drohnen, aus der Schweiz sei seit zwei Wochen keine Rückmeldung eingegangen.
Wir haben uns zu ihnen gesetzt, aber wir können es nicht mehr hören. David springt von der Matte auf. Er hebt seine Arme auf Brusthöhe und sagt in vorwurfsvollem Ton: »So, kill us. Just kill us.« Danach dreht er sich um, zieht seine Sandalen an und geht in unser Zimmer zurück. Er hat nicht geschrien, aber seine Erregung, seine Aggressivität waren für alle deutlich zu spüren.
Der Doktor hatte uns in den Bergen gewarnt. Paschtunen geht die Gastfreundschaft über alles. Sie würden nicht einmal einen Feind schlecht behandeln, wenn er sich in ihrem Haus befindet. Aber man muss ihnen mit Respekt begegnen, darf niemals die Stimme erheben. Ich schreie mir stumm die Verzweiflung aus der Seele, aber David hat die Beherrschung verloren, hat die Regeln der Gastfreundschaft verletzt mit seiner provozierenden Bemerkung, sie sollen uns erschießen. Wir sitzen in unserem Zimmer, ich sage David, er hätte nicht davonlaufen dürfen, jetzt sei alles vorbei. Sie erschießen uns. David ist blass, aus seinen Augen ist der letzte Funke Hoffnung verschwunden.
Man ruft unsere Namen. Dumbo steht auf der Schwelle zu unserem Zimmer, Depp und Guildo Horn folgen ihm. Sie haben ihre Kalaschnikows in der Hand, und Guildo hält einen längeren Vortrag auf Paschtu. Die Botschaft, die wir uns zusammenreimen ist: Falls so etwas noch einmal passiere, würden sie tun, was sie eigentlich vorgehabt hätten und was Walis Befehlen entspräche: uns einsperren und David in Fesseln legen. Dann wird ihr Ton versöhnlicher.
Von nun an finde ich abends nicht mehr in den Schlaf, immer warte ich darauf, dass sie ins Zimmer kommen und uns schlagen, oder dass sie David von mir wegzerren.
Der nächste Tag ist der 29. August, es ist der sechzigste Tag unserer Entführung, aber auch das Ende des Ramadan. Eine besondere Atmosphäre erfüllt den Hof, die Jungs scheinen aus der Lethargie erwacht zu sein, sitzen nicht mehr mit dem Oberkörper wippend da, und auch die Gebete fallen wieder etwas knapper aus. Jenseits der Mauern verdichten sich die Geräusche, die auf einen normalen Alltag hindeuten. Mopeds knattern, es wird gehupt, geredet. Dumbo, der unter dem Ramadan wohl ganz besonders gelitten hat, bringt eine Unmenge an Lebensmitteln vom Basar, die Bewacher sind in Feierlaune, um unseren Innenhof knallen Schüsse, Leuchtspurmunition steigt auf und schraffiert bis Mitternacht den Himmel rot und weiß.
Für uns ist das alles ein Hinweis auf die Erfüllung der jüngsten Versprechungen: Hans oder Wali werden nach Ablauf des Ramadan zurückkommen und uns die Nachricht von der Entlassung bringen. Es könnte jeden Augenblick der Fall sein. Aber wir starren vergeblich aufs Tor.
Am 31. hält kurz nach 19 Uhr ein Wagen vor der Mauer, der Motor brummt, die Vibrationen übertragen sich auf das Metall des Tores. Die Jungs sind alarmiert, nehmen ihre Waffen und laufen zur Zufahrt. Wir leben undercover in diesem Hof. Offiziell ist das Haus verlassen. Wer kann da draußen stehen? Depp blickt durch ein Guckloch an der kleinen Eisentür, die
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