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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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betteln, bis Guildo Horn endlich hielt und David, umringt von den bewaffneten Bewachern, neben das Auto pinkeln durfte. Ich dagegen musste mir den Drang verkneifen. Bei jedem Schlagloch stach es in meinem Unterleib … Dabei gab es um uns herum nur Berge, menschenleere Wildnis. Zweimal hielten sie sogar an, um zu beten, aber ich durfte mich nicht erleichtern! Wäre wenigstens Locke da, dachte ich, der ein bisschen gesunden Menschenverstand hat.
    Dann brach endlich die Dämmerung herein. Da in der Nachbarschaft niemand von Dumbos Verbindungen zu den Taliban weiß und Männer nach dem islamischen Gesetz nur den Innenhof betreten dürfen, wenn sie zur Verwandtschaft gehören, konnten die Jailer uns nicht begleiten. Sie wurden auf einem Hügel abgesetzt. Chetab, der alte Commander, fuhr uns an der Sandburg vorbei und hielt an einem rot-weißen Eisentor. Das Tor zu unserem neuen Gefängnis, das Tor, das mit seinem komplizierten Schließmechanismus für uns noch eine dramatische Rolle spielen soll.
    Dumbo hämmerte nervös ans Tor, es wurde ein Stück weit geöffnet, wir wurden angezischt: »Sör, sör, saufka, saufka« – »schnell, schnell, leise, leise«. Vier Schritte waren es vom Auto bis in den Hof.
    Und plötzlich stehen wir, nach zwei Monaten Gefangenschaft in der engen ehemaligen Bäckerei, in einem weitläufigen Innenhof, der im Sternenlicht sandbraun schimmert. Schemenhaft sind Sträucher zu erkennen, drei Hauseingänge, davor elf Gestalten. Ich frage Dumbo, ob ich sie begrüßen darf. Er nickt. Ich laufe auf die Kinder und die Frauen zu, die alle viel kleiner sind als ich, in farbige Tücher und Gewänder gehüllt, das Haar verborgen. Als ich meine Burka abstreife, stehen meine Haare dagegen in alle Richtungen.
    Ein etwa dreizehnjähriges Mädchen reicht mir die Hand, Datscha. Hellblau, groß und leuchtend sind ihre Augen, sie ist schön und ganz anders, als ich mir die weiblichen Wesen hier vorgestellt hatte, ganz anders als die Mädchen im Bergdorf. Auch ihre siebenjährige Schwester Sadia hat blaue Augen. Mino, Dumbos fünfzehnjährigen Neffen, kennen wir bereits aus der Sandburg. Dann sind da noch der neunjährige Nasrulla und ein vier Monate altes Baby. Der Älteste der fünf Geschwister ist Golab, 17, der bereits seine Männlichkeit beweisen muss, indem er besonders aggressiv tut. Seine Mutter Mure ist 34 und hat eine auffallende Zahnbrücke. Ihr Mann Mohammed arbeitet in Dubai auf einer Baustelle. Dumbo hat drei Brüder, Ali, Mohammed und Bobraka. Dumbo selbst ist noch kinderlos, Bobraka Junggeselle. Alis Familie wohnt ebenfalls hier. Seine Frau heißt Rabia, dazu kommen die zwei Söhne Jonas, vierjährig, und Dado, ein Jahr alt.
    Die eigentliche Herrscherin über diesen Hof ist Dumbos Mutter Ade alias Amour, eine schmächtige Frau mit einem faltigen Gesicht, türkisfarbenen Augen und zwei dünnen, geflochtenen Hennazöpfen. Im Gegensatz zu allen anderen (und den Vorschriften des Islam) verrichtet sie sechs Gebete am Tag, die üblichen fünf plus das Zusatzgebet um halb drei in der Nacht, was ebenfalls für unsere Geschichte noch von Bedeutung sein wird. Dumbos Frau Chobana fehlt. Sie sei zu den Eid-Festtagen bei ihren Eltern auf Besuch, in Pakistan eine ungewöhnliche Freizügigkeit.
    Diese neugierigen Gesichter, die Begrüßungen, die Frauen und Kinder berühren mich sehr nach all den Monaten im engen Innenhof, nach dem Bombardement, den Stunden im Auto, in Gesellschaft bewaffneter, hysterischer Kämpfer. Ade legt mir Sadias Tuch über den Kopf, ich müsse mein Haar verdecken.
    Dann werden wir unter dem Surren der Drohnen in ein Zimmer geführt. Unser Zimmer. Es gibt gerade wieder keinen Strom, und im Lichtkegel der Taschenlampen erkennen wir eine kleine Kammer. Zwei Pritschen, ein großes blaues Wasserfass, an den Wänden schwarze Plastiktüten, die an rostigen Nägeln hängen. Aus der Ferne hören wir den Gefechtslärm.
    Im Hof tummeln sich neben Dumbos Verwandtschaft zwei Schafe, zehn Hühner, ein Pferd, und Meino, ein Singvogel, dem man die Flügel gestutzt hat.
    Dumbo hat uns ein paar simple Grundregeln erklärt: David darf das Frauenzimmer nicht betreten, ich muss ein Kopftuch tragen, am Abend können wir im Hof unsere Runden laufen. Der Hof ist relativ groß (wie alles bei Dumbo, sein Bauch, sein Hintern, seine Essensvorräte, sein Geldbeutel, aber uns soll es recht sein), eine Runde dauert immerhin dreiundvierzig Sekunden.
    Tagsüber fällt durch zwei kleine Fenster über der Tür Licht in

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