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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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abwechslungsreicher, aber das Warten ist quälender denn je. Fünf Tage sollte es dauern, bis Nase mit einer Antwort aus Islamabad wiederkommen wollte. Die fünf Tage vergehen, nichts geschieht. Wir versuchen uns abzulenken, indem wir laufen, bis sich unser Kopf dreht, indem ich die Frauen und Kinder ausfrage, wer der Besitzer des Dorftelefons sei, wer die Wasserpumpe bediene (wir haben keine Zisterne, sondern einen Wasserhahn im Hof, der von einer externen Pumpe abhängig ist), wer den Dorfladen führe, wer im Nachbarhaus lebe, wie lange sie schon hier leben, woher sie stammen … Ich flechte mit den Frauen Körbe, David lernt, aus Lehm und Reisig Mauern zu bauen. Als die Frauen beobachten, dass er die Eimer mit Wasser und Erde selbst trägt, können sie nicht begreifen, wie ein Mann sich so weit herablassen kann. Körperliche Arbeit überlassen Paschtunenmänner ihren Frauen. Doch dann schicken sie Mino, den lispelnden Haus-und-Hof-Diener, der einen Spalt in der Zunge hat und deshalb nicht die Koranschule besuchen darf, um David zu helfen. Nase kommt nicht wieder. Dumbo weiß nichts Wichtiges, und das Wenige, das er weiß, bläst ihm der Fahrtwind zwischen Basar und Hof aus dem Kopf. Allerdings bringt er uns jetzt, auf Anordnung Nazarjans, fast täglich eine Zeitung mit. Dumbo sieht nicht recht ein, warum er täglich zehn Cent für den Dawn ausgeben soll, wenn man dafür ebenso gut eine frittierte Kartoffeltasche kaufen könnte. Die Nachrichten von Roger Federers Turniererfolgen und Barack Obamas Auslandsreisen geben uns das Gefühl, nicht vollkommen von der Welt abgeschnitten zu sein.
    Die Kinder beginnen, nachdem die Phase der bewundernden Neugier vorbei ist, uns zu schikanieren. Mino versucht mich herumzukommandieren und will uns täglich früher in unser Zimmer sperren. Sogar der vierjährige Jonas fungiert manchmal als Schließer. Wenn sie uns rufen oder wegschließen wollen, weil es zum Beispiel am Tor geklopft hat, dann zischen sie uns immer an: »Schhhht, schhht, schhht.« Wir ignorieren dieses Zischen und sagen, wir seien keine Hunde.
    Mino legt sich provokativ auf Dumbos Pritsche vor unserer Tür, spielt mit dem Funkgerät des Onkels herum und sagt bei jeder Runde: »Wollt ihr nicht schlafen gehen?« Jede Runde verneinen wir, freundlich lächelnd, aber jedes Mal kostet das Lächeln mehr Energie. »Dala band« heißt: »Tür zu.« Manchmal hören wir das ab 19   Uhr, Runde für Runde. Als es mir einmal zu viel wird, gehe ich zu Mure und weise darauf hin, dass wir bis 20.30   Uhr »Hofgang« hätten, sie rügt Mino, und wir haben für ein paar Minuten Ruhe.
    Als wieder alle Fristen verstrichen sind und wir uns vor Verzweiflung nicht mehr zu helfen wissen, fragen wir Dumbo in Zeichensprache und auf Englisch, ob die Antwort aus Islamabad eingegangen ist und wie lange wir noch zu bleiben haben. Da er darauf wieder keine Antwort hat, geben wir ihm einen Brief für Hans mit.
    Eines Abends platziert Dumbo seinen Neffen vor dem Tor, ein Zeichen, dass wichtiger Besuch bevorsteht. Endlich, denke ich. Ich frage nach, ob Nase komme. »Inschallah morgen«, meint Dumbo. Wütend, resigniert und hilflos fange ich an, mit David meine Runden zu laufen. Um mich aufzumuntern, erzählt er mir die Szene aus »Einer flog über das Kuckucksnest«, in der die Insassen der Psychiatrie, angeführt von Jack Nicholson, mit einem Boot zum Hochseefischen ausbrechen.
    Dann klopft jemand ans große Tor. »Zuck-je?« – »Wer ist da?« Wir kennen inzwischen diesen Erkennungsruf. Mino dirigiert uns in unser Zimmer, als ob jemand Fremdes käme, aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass es Nase ist. Tatsächlich schwebt dieser, ganz in Weiß, wie immer mit einem Tuch, das ihn vom Scheitel bis zur Sohle einhüllt, durch den Innenhof, direkt auf uns zu. Wie ein Gespenst sieht er im Dämmerlicht aus. Er hat zwei Plastiksäcke auf dem Rücken, umarmt David, gibt mir die Hand, legt sich auf mein Bett und bestellt Essen. Einer der älteren Jungen beginnt sofort, seine Beine zu massieren. Selbst der Strom scheint ihm untertan zu sein, denn so selten er auch fließen mag, jetzt ist er da. Vier Kinder kauern andächtig auf dem Boden, David und ich sitzen auf Davids Bett. Nase reicht David eine weiße Tüte, und als dieser den harten Inhalt ertastet, lacht er begeistert. Es ist die Klangschale aus dem Himalaya, die wir in Junkies Haus hatten zurücklassen müssen. Wir danken Nase mehrmals, dass er extra zu ihm gefahren ist, um ihm die

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