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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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unser Zimmer, in der Nacht brennt (falls gerade der Strom da ist) eine schwache Glühbirne. Unsere Betten stehen an der Stirnseite, an der Seitenwand ein großer Kühlschrank, neben der Tür eine Heizspirale, ein etwa ein Meter langer, gewundener Stahldraht, der in Ton gelegt ist und diesen wärmt. In der Ecke bilden von einer Schnur hängende Tücher eine Duschzelle, es ist nicht mehr als ein Abfluss im Boden, das Wasser kippt man sich mit einem Kübel über den Kopf.
    Neben unserem Zimmer liegt das Frauenzimmer, in dem auch die Kinder schlafen, daran schließt sich Dumbos Raum an. Daneben liegt das Zimmer von Rabias Familie: zwei Pritschen für vier Personen, eine Heizspirale, ein Moskitonetz. Der Boden besteht, ebenso wie der Innenhof, aus gestampfter Erde. Eine »Toilette« gibt es nur für uns. Es ist ein etwa sechzehn Quadratmeter großer Winkel im Hof, der von einer Mauer abgeschirmt wird. Dort dürfen wir unser Geschäft auf den Boden machen, natürlich ohne warmes Wasser, Seife oder Toilettenpapier. Als man uns einweist, findet sich dort kein freier Fleck, und wir müssen Steine in den Morast aus stinkenden, von Fliegen und Hühnern bevölkerten Fäkalien werfen, um kleine Inseln zu schaffen, auf denen wir mit unseren offenen Schuhen balancieren können. Nach einigen Tagen wird einer der größeren Jungen mit Eimer und Schaufel Abhilfe schaffen. Da diese Fläche zur Gästetoilette für uns umfunktioniert wurde, haben die anderen Erwachsenen draußen neben dem sandigen Weg eine Art Steinbruch oder einen versteckten Winkel hinter einem UNHCR -Zelt aufzusuchen. Die Kinder erleichtern sich, wo sie gerade gehen und stehen.
    Niemand trägt Unterwäsche, auch die Erwachsenen nicht, und einen BH haben sie noch nie gesehen. Wenn das zwei Monate alte Baby schreit, schiebt Amour, die Großmutter, ihm ihre schlaffe Brust wie einen Schnuller in den Mund.
    Alle gehen früh schlafen, gegen 21   Uhr, dann werden wir ins Zimmer eingeschlossen. Allerdings sind wir in einer Vorrats- und Materialkammer untergebracht, weshalb hier den ganzen Tag (und manchmal auch in der Nacht) ein Kommen und Gehen herrscht. Dumbo treibt es häufig an den mit einem Schloss gesicherten Kühlschrank, auch sein Neffe Mino schneit häufig unter irgendeinem Vorwand herein. Oft macht er sich nicht einmal die Mühe, einen Vorwand zu erfinden. Auch die anderen Kinder und Babys krabbeln gerne auf uns herum, Mure drückt mir ihr Baby sogar in die Hand, wenn ich im Innenhof meine Runden laufe. Da das Baby keine Windeln trägt und fast nie gewaschen wird, ist mir die Aufgabe nicht sehr willkommen. Wenn ich frisch geduscht bin und nach Tagen endlich wieder einmal die Kleider gewechselt habe, pinkelt mich das Baby an, und dann muss ich in diesen Kleidern bleiben, Tag und Nacht.
    Am ersten Abend holt ein Junge mich ins Frauenzimmer, wo Amour im Schneidersitz auf dem Bett hockt. Im fahlen Schein einer Taschenlampe pult sie gerade die letzten Fleischreste aus dem Schafskopf, aus dem Antlitz von Bissus ehemaliger Flamme. Sie reicht mir lächelnd ein Stück Zunge. Ich lehne dankend ab. Dann bittet sie die Kinder, den Kopf mit dem Beil zu zerschlagen. Ein kleiner Junge hält den Schädel, Mures Tochter holt mit der rostigen Axt aus, und beim fünften Schlag bricht der Unterkiefer ab. Zuerst hüpft der Schädel durchs Zimmer, und alle lachen. »Gschena«, »setz dich«, sagt Amour zu mir. Ich hocke starr neben ihr auf dem Bettgestell. Nach und nach wird der Kopf zertrümmert, bis Amour das Hirn herausschaufelt und in die schmutzigen Kinderhände legt. Sadia und Jonas beginnen, ihre Finger abzulecken, und nicken mir zu: »Dear sindbad«, »sehr fein!« Lachend und schmatzend nagen sie auch noch die Schädelknochen ab. Ade schlürft den Rest des Hirns direkt aus dem Schädel, ich halte mir die Augen zu und kann das Lachen nicht unterdrücken. Als Höhepunkt des Festmahls nimmt die Großmutter ein Auge, presst den Glaskörper heraus und lässt die gelartige durchsichtige Substanz mit einem befriedigten Grunzen im Mund verschwinden. Das sei das Beste. Als ich völlig konsterniert zu David laufe und ihm die Szene erzähle, sagt er, Schafsaugen würden auch in Island, Griechenland, der Türkei usw. als Delikatesse gelten.
    Die Verständigung mit den Familien fällt uns anfangs schwer, denn das Paschtu, das wir von unseren Bewachern übernommen haben, ist rudimentär, ohne echte Satzbildung und Zeitformen. Die Jailer haben sich daran gewöhnt, und auch die Kinder

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