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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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trübes Bachwasser, das eines der größeren Kinder per Esel in den Hof bringt. Die Folgen des Bachwassers sind die üblichen Durchfallerkrankungen.
    Nach Nases Besuch werden wir ein, zwei Tage lang mit Respekt behandelt, dann reißt wieder das gewohnte Regime ein. Wir bekommen zig Mal aufgegossenes Teepulver, man enthält uns den Zucker vor, weil er angeblich aufgebraucht ist (obwohl wir neben einem 5-Kilo-Sack schlafen). Als Ali, Mures Mann, der in Dubai lebt, zwei Pakete mit Matten und Decken für den Winter schickt, werden diese nicht benutzt, sondern wandern zu all den anderen gehorteten Gütern in die Säcke, die unsere Zimmerwände als Symbol von Dumbos Herrschaft zieren.
    In monatelanger Kleinarbeit habe ich alle Vogelfedern, die im Hof gelandet sind, zur Dekoration in Mauerritzen gesteckt. Die Frauen und Kinder haben mich schließlich nachgeahmt, bis sich der Eingangsbereich des Hofes in eine bunt schillernde Landschaft verwandelte. Um mich in Rage zu bringen, beginnt Mino, die Federn zu entfernen und in den Dreck zu werfen.
    Als Rabia, Dumbos Schwägerin, mit ihren Kindern vor der Kälte Richtung Süden, nach Karatschi, flieht, rumoren wieder Fluchtgedanken in meinem Kopf. David fängt an, mit einer Nadel, die er magnetisiert, einen Kompass zu bauen. Mit Dumbos Waffenöl schmieren wir die Scharniere unserer Tür, die sich daraufhin lautlos öffnen lässt.
    Mitte Januar herrscht wieder totaler Stillstand. Weder sind weitere Mudschahedin freigelassen worden noch sonstige Nachrichten gekommen, es ist kalt, die Berggipfel verschneit, Dauerregen setzt ein und verwandelt den Hof in ein Schlammfeld. David hat wieder heftigen Durchfall, Magenkrämpfe und leidet unter Schwächezuständen. Irgendwann werden wir körperlich nicht mehr in der Lage sein, zu fliehen.
    Die permanente Nähe von Dumbos Familie macht uns verrückt. Wir können nicht mehr mit ansehen, wie sie Vieh und Mensch behandeln, sich, ihre Kinder und uns. Wir führen einen aussichtslosen Kampf um ein wenig Privatsphäre, um ein Minimum an Hygiene, die uns vor den Magen-Darm-Viren und Erkältungen schützen könnte. Unser anfänglicher Vorsatz, durch Sport und Körperpflege die Widerstandskräfte wachzuhalten, lässt sich nicht mehr einhalten. Der Hof ist eine einzige zähe Masse aus Schlamm und Exkrementen, die in dicken Klumpen an den Schuhsohlen haftet. Überall laufen die Hühner herum, auch in unserem Zimmer. Ich versuche, wenigstens meinen Schlafsack sauber zu halten, aber auch das ist eine Utopie. Tag und Nacht kommen Dumbo oder ein Verwandter in unser Zimmer, stöbern in unseren Sachen, bedienen sich von meiner Nivea-Creme oder belehren uns über die richtige Lebensführung. Als David vor Schwäche kaum die Augen aufschlagen kann, sitzt zum Beispiel eine der Frauen auf meinem Bett, schnäuzt sich in ihr Kopftuch, wischt dann ihrem seit zweieinhalb Monaten kranken Baby die Augen mit den feuchten Fingern aus und doziert, Davids Bauchweh käme von Kuchen und Chips. Die Kinder haben alle Rotznasen, der grüne Schnodder läuft ihnen in den Mund, und wenn sie husten, treffen uns die Spritzer im Gesicht.
    Dumbos Frau greift an meine Brüste, lacht, weil sie so klein seien, und belehrt mich, die Fellmütze, die ich trage, gehöre sich nicht für eine Frau. Jede Dusche, die wir nehmen, jedes Ei, das wir essen, wird uns zum Vorwurf gemacht, auch wenn wir für jeden Einkauf mit dem Geld von Nase bezahlen und in einem Monat außer Fladenbrot nur zweimal Reis und zweimal ein Ei (für uns gemeinsam) von ihnen bekommen haben.
    Die Lieblosigkeit, mit der die Kinder von den Erwachsenen behandelt werden, geben sie an Schwächere weiter, an Tiere oder kleinere Geschwister. Immer wieder loten sie aus, ob nicht auch wir, obwohl Erwachsene, zu den Schwachen gehören.
    Ein etwa zwölfjähriger Junge, der zu Besuch ist, wird systematisch gequält, ohne dass die Erwachsenen einschreiten würden. Man schlägt seinen Kopf gegen das Eisentor, sperrt ihn in den Schafstall, fesselt ihn an Händen und Füßen. David versucht ein ums andere Mal, das Schlimmste zu verhindern, obwohl er kaum Kraft hat, aus dem Bett aufzustehen.
    Es dauert drei Wochen, ehe Nase uns wieder besucht. Das übliche Ritual: große Aufregung, der Wagen mit den verdunkelten Scheiben hält am Tor, eine vermummte Gestalt huscht im Dämmerlicht herein, umarmt David, hebt ihn hoch, gibt mir die Hand. Nase setzt sich in unser Zimmer, bestellt eine Decke und Brot, entschuldigt sich, dass er nicht früher

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