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Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Norton
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schlüpft ins stockdunkle Haus.
    Der Raum, in dem sie steht, scheint leer zu sein. Der schwache Widerschein des grellen Scheinwerferlichts von draußen wirft unheimliche Muster auf Decke und Wände. Weil sie nicht wagt, das Licht einzuschalten, holt Reeve die kleine Taschenlampe hervor und bewegt den dünnen Lichtstrahl auf der Suche nach dem Gewehr hin und her.
    Draußen kracht ein Schuss, und der Knall fährt ihr bis in die Knochen.
    Ein Urinstinkt lässt sie erstarren, doch sie schüttelt die Lähmung ab, zwingt ihre Füße voran, stolpert durchs Haus, reißt Türen auf, flüstert eindringlich: »Hallo? Ist da jemand?«
    Weiter hinten entdeckt sie eine robuste Tür mit einem Vorhängeschloss, und mit der flachen Hand schlägt sie dagegen. »Ist da jemand?«
    Eine Stimme. »Wer ist da?«
    »Hannah? Abby? Seid ihr das?«
    »Hannah.« Die Stimme kommt näher. »Wer bist du?«
    »Wo ist der Schlüssel?«
    »Er hat ihn. Was ist los?«
    Reeve stürzt durch das Haus, sucht im Licht der Scheinwerfer, das durch die Fenster dringt und die vielen prallen Müllsäcke beleuchtet, die überall herumstehen. Noch immer quillt die lächerliche Musik aus dem Van. Sie tastet sich an der Wand entlang, fühlt nach einem Schlüsselbrett, fährt mit den Händen über Oberflächen, und sieht plötzlich durch ein Seitenfenster Orr, der blutend an dem Holzstoß lehnt. Sie sehnt sich eine Waffe herbei, denkt bitter an den jämmerlichen Schraubenzieher in ihrer Tasche und überlegt, ob der andere Mann vielleicht schon wieder fort ist …
    Ein weiteres ohrenbetäubendes Krachen lässt die Wände erzittern.
    Reeve wirbelt herum und rennt zurück zu der verschlossenen Tür. »Hannah! Hannah! Hängt der Schlüssel an einem Ring? An einem Bund? Hat es gerasselt?«
    »Nein, es ist ein einzelner, da bin ich ziemlich sicher. Mach schnell!«
    Draußen auf der hinteren Veranda bewegt sich etwas, das Licht scheint zu flackern. Hannah murmelt etwas Unverständliches. Reeve kneift die Augen zusammen und versucht zu denken.
    Und dann schüttelt sie sich, stellt sich auf die Zehenspitzen und fährt mit den Fingern über den Türrahmen, bis sie Metall berührt. Sie holt den Schlüssel herunter, umklammert ihn mit zitternden Fingern und stochert im Schloss herum, dreht nach links und rechts, bis das Schloss sich mit einem Klicken löst.
    Sie hakt den Bügel aus der Öse und zieht die Tür auf. Eine einzelne Glühbirne beleuchtet eine schmale Gestalt, und Reeve schnappt entsetzt nach Luft, als sie im dämmrigen Licht in dem bleichen Kind ein geisterhaftes Abbild ihrer selbst erkennt.
    Mit weit aufgerissenen Augen zieht Hannah eine Decke um ihren Körper zusammen. »Ist er tot?«
    »Komm. Schnell!«
    Als Hannah in den Flur hinaustritt, sind schwere Schritte auf der rückwärtigen Veranda zu hören. Sie fahren herum und sehen im Gegenlicht die Umrisse einer großen Gestalt. Hannah stöhnt, und Reeve schließt hastig die Tür, hängt das Vorhängeschloss wieder an seinen Platz und drückt es zu. Sie schleudert den Schlüssel von sich, hebt in einem Adrenalinschub das Mädchen auf die Arme und sprintet über den Holzboden. Mit wenigen Schritten sind sie durch die Vordertür und auf der Veranda. Schrammelige Banjomusik quillt aus dem Van und übertönt alle anderen Geräusche, als Reeve das Mädchen die Treppe hinunterträgt und hastig auf die Füße stellt.
    »Nicht zurücksehen«, wispert Reeve, aber als sie auf das Tor zurennen, blickt sie selbst zum Holzstoß, an dem der blutüberströmte Orr mit ausgebreiteten Armen und Beinen lehnt. Seine Augen sind weit aufgerissen.
    Sie haben es durch das Tor geschafft, erreichen die Straße und rennen hangabwärts und fort von der Hütte, Hannah auf nackten Füßen, während unaufhörlich der Regen auf sie herabströmt.

    Die Heizung ist bis zum Anschlag aufgedreht, und Hannah trägt Reeves Jacke, aber sie zittert noch immer.
    »Ich muss dich ins Krankenhaus bringen«, sagt Reeve und gibt sich Mühe, so zu klingen, als hätte sie alles im Griff, während sie die steilen Kurven bergab fährt. Sie blickt in den Rückspiegel. »Wenigstens verfolgt uns niemand.«
    »Was?« Hannah müht sich, sich umzudrehen und aus der Rückscheibe zu spähen. »Kannst du nicht schneller fahren?«
    Reeve hat keine Ahnung, in welche Richtung sie unterwegs sind. Das Wichtigste ist jetzt, möglichst viel Abstand zur Hütte zu kriegen. Sie sind ungefähr zehn Minuten gefahren, aber die holprigen Serpentinen scheinen sie nur immer tiefer in die

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