Und Nachts die Angst
einstöckigen Bau. Trockene Zweige knacken unter ihren Füßen. Es ist kalt, und sie hat ihre Handschuhe vergessen.
Ein asphaltiertes Fleckchen an der Hausseite weist auf einen Nebeneingang hin. Sie nähert sich, probiert den Türknauf, stellt fest, dass abgeschlossen ist, geht weiter und versucht, den Grundriss zu erfassen. Es gibt keine Kellerfenster, nicht einmal Lüftungsgitter, die darauf hinweisen, dass ein Untergeschoss existiert.
Zwei Stufen führen zur Veranda hinauf. Reeve geht in die Hocke und späht zwischen den Holzstufen hindurch in die Finsternis. Es riecht abgestanden, erdig. Etwas regt sich hinter ihr, und sie fährt herum und schreckt einen Vogel auf. Als er davonflattert, richtet sie sich wieder auf und steigt das Treppchen hinauf.
Ein Gesicht gafft sie an, und ihr weicht das Blut aus den Wangen, doch dann kommt sie sich dämlich vor. Sie tritt näher heran, legt ihre Stirn an die gläserne Schiebetür, deckt links und rechts mit beiden Händen das Licht ab und hält den Atem an, damit die Scheibe nicht beschlägt. Sie sieht eine schäbige Küche, offene Schränke, den schmutzigen Kachelboden. Sie legt eine Wange an das kühle Glas und versucht, mehr vom Inneren des Hauses zu erkennen. In einer Ecke ist ein Schutthaufen, der nach Rigipsbrocken aussieht, aber eine Wand blockiert ihre Sicht. Sie packt den Griff und hört die Tür in der Metallschiene rappeln. Das Einzige, was sie daran hindert einzutreten, ist ein altmodischer Riegel. Wieder rüttelt sie, drückt und zieht, probiert, ob die Tür an einer Stelle der Führung nachgibt, aber der Riegel bleibt unnachgiebig.
Sie geht in die Hocke und betrachtet das Schloss in der Hoffnung, einen Spalt zu entdecken, durch den sich irgendein Werkzeug durchschieben lässt, doch da ist nichts. Enttäuscht schnalzt sie mit der Zunge und tritt zurück. Wie würde ein Einbrecher vorgehen? Ihr Blick gleitet am Rahmen entlang, und sie versucht zu visualisieren, wie die Türen unten die Schiene entlanggleiten und oben mittels kleiner Rollen geführt werden …
Sie tritt wieder näher heran, breitet die Arme aus, packt den Griff in der linken Hand und die Kante der Tür mit der rechten, dann nimmt sie all ihre Kraft zusammen und hebt.
Zu schwer.
Sie lässt die Arme sinken, überlegt. Sie geht ein wenig in die Knie, presst die Hände in Brusthöhe gegen das Glas, holt tief Luft und drückt nach oben. Ein fester Ruck, die Glastür rutscht aus der Führung, und der Riegel gibt mit einem Klicken nach.
Die Tür gleitet auf, und sie tritt ein und rümpft die Nase, als ihr der Geruch nach altem Bratfett entgegenschlägt. Ihre Schritte klingen laut in dem leeren Haus. Der Zugang zum Keller befindet sich direkt an der Küche. Schartige Rigipsreste umgeben die ehemalige Türöffnung, und als sie sich nähert, knirscht Schutt unter ihren Füßen. Sie unterdrückt den Anflug von Angst, beugt sich vor und späht ins Dunkle, dann blickt sie sich um und sucht das Licht. Sie entdeckt einen Schalter, der mit dem schwarzen Pulver der Spurensicherung überzogen ist, und hebt den Fingerknöchel, um das Licht anzuknipsen, als sie erstarrt. Ein Rascheln.
Sie fährt herum, starrt hinter sich, sieht nichts. Sie schleicht zurück zur Glastür, sucht den Garten ab und macht die Quelle des Raschelns aus: Auf der Suche nach Würmern springt der Vogel durchs tote Laub.
Wütend über sich selbst kehrt sie zurück und drückt den Schalter. Das Licht flammt auf und beleuchtet die Treppe, und sie steigt hinunter. Ihre Stiefel machen ein verstörend vertrautes Geräusch auf den Holzbohlen, und als sie unten ankommt, wird ihr bewusst, dass sie in keinem Keller mehr gewesen ist, seit Daryl Wayne Flint ihre Verliestür aufgeschlossen hat.
Schwankend steht sie dort und lässt das kahle Grauen auf sich einwirken. Der Keller ist kaum größer als ein begehbarer Schrank, und die Wände sind in einem kranken Gelbton gestrichen. Ihr Gefängnis damals war grau.
Sie schließt die Augen und ringt um Luft, als die Grausamkeit sie bis ins Mark durchdringt. Dieser Keller ist schlimmer als jede Gefängniszelle. Hier gibt es keine Genfer Konvention, kein absehbares Ende, keinen Mitinsassen, mit dem man Fluchtpläne schmieden kann. Kein Erbarmen. Keine Hoffnung.
Sie schaudert und reißt die Augen auf. Reg dich ab, mahnt sie sich. Fahrstuhlfahren ist schlimmer. Schau dich um: Die Tür ist nicht einmal geschlossen.
Langsam dreht sie sich um die eigene Achse und betrachtet die enge Kammer genau. Als sie
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