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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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Sache einzutreten, für mehr Wohlstand, Bildung, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, kulturelle Anerkennung. Im Gegenteil, Monika erlebt tagtäglich, wie berechnend, verschlagen, menschenverachtend, eiskalt sich Roma ihr gegenüber verhalten, daß die Erzieherinnen im Heim doch recht gehabt haben müssen, ihr das Zigeunersein austreiben zu wollen. Nur ist sie trotzdem schwarz geblieben, auch wenn sie fast akzentfrei tschechisch redet, und ein stinknormales Leben unter Weißen ist für sie ähnlich weit weg wie eines als Filmstar in Hollywood.
    Kristyna und Emil, Zuzana und Petr, Anna und František, alle leben sie von der Sozialhilfe und ihren mehr oder weniger einträglichen Zusatzgeschäften, alle fretten sie sich irgendwie durch, fahren die Ellbogen aus und nehmen, was kommt, zum Beispiel Monika. Diesen Abend verbringt sie mit zwei Plastikkörben Bügelwäsche in der Küche, im Fernsehen läuft eine australische Dokumentation über Krokodile, eines der jüngeren Kinder ist dabei eingeschlafen, ein anderes spielt in einer Ecke mit dem Gameboy. Monika muß an ihre frühen Jahre im Heim denken, geradezu idyllisch kommen ihr die jetzt vor.
    Daß sie am nächsten Vormittag schon wieder weg will, wird mit Unverständnis quittiert. Ich muß mir noch ein paar Klamotten besorgen, Schminkzeug, Kondome, argumentiert sie, über den leeren Koffer kann und will sie nicht sprechen. In der Winterova sucht sie akribisch nach einer Nachricht, einem Blatt Papier, an eine Dachrinne geklebt zum Beispiel wie jener vergilbte Zettel, der dem Finder des entlaufenen Hauskaters Chudáček eine ansehnliche Belohnung verheißt. Null, nichts, gar nichts. Um ihre letzten Kronen kauft sie billigen Wäscheramsch, die nötigsten Kosmetika und, zum ersten Mal in ihrem Leben, Präservative.
    Sie will sich den Rest Glauben in die Ehrlichkeit Zuzanas und Petrs nicht wegnehmen lassen, und so rechnet sie noch Wochen halbherzig damit, ein Brief werde eintreffen, der alles erklärt, ein Kastenwagen plötzlich vorfahren, wo sie am Straßenrand auf Kunden wartet, Petr werde sie einsteigen lassen, eine kaum verständliche Entschuldigung murmeln und sie zurückbringen. Monikas Zuversicht reicht aber nicht so weit, sich selbst zu den beiden durchzuschlagen, anzuläuten und zu sagen: Hier bin ich wieder. Was ist denn da neulich schiefgelaufen? Die Schwestern würden sich wahrscheinlich dumm stellen, fürchtet sie, vehement bestreiten, daß je von einem Treffpunkt die Rede war, vom Zurückkommen und vom Teilen der Verkaufssumme. Es gibt schließlich keine Instanz, soviel weiß Monika, wo sich derlei einklagen ließe. Von welchem Koffer redest du eigentlich? hört sie Zuzana ungehalten werden, bist du komplett zugedröhnt oder was? Du hast deinen Koffer doch mitgenommen. Und sie sieht im Kopf, wie die Tür vor ihrer Nase zugeknallt wird, und sie will sich das nicht antun. Resigniert und verlegen schiebt sie die Packung Kondome auf das Förderband der Supermarktkasse.
    Vor knapp einem Vierteljahr hat Monika das Heim hinter sich gelassen, mit einem gutdotierten Sparbuch im Gepäck, dem Aussteuerpaket und einem prall gefüllten Koffer, in dem sie auch die Briefe der Mutter, ein paar Fotos, kleine Geschenke von Jaroslav und Darina, Musikkassetten, den Walkman, die Speedvorräte und alle Dokumente außer dem Paß verwahrte. Jetzt hat sie praktisch nichts mehr als die Kleider auf dem Leib, die sie in wenigen Stunden auch noch ausziehen soll. Und weil sie weder Geld für Drogen hat noch Leute hier kennt, die ihr das Zeug auf Kredit geben würden, wird sie es machen müssen, ohne an der Spritze Kraft tanken zu können.
    František stellt sein Pferd, dessen höchst nachlässige, wenig professionelle Aufmachung er lautstark kritisieren muß, an die vielbefahrene Ausfallstraße nach Westen, dorthin, wo es hinauf in die Berge, ins Reich der Gartenzwergregimenter, zu den vietnamesischen Billigkleidermärkten für den deutschen Schnäppchenjäger direkt an der Grenze geht. Und die Deutschen kommen auch zuverlässig herunter in die Stadt. František erklärt Monika außer der Lage der einschlägigen Stundenhotels kaum etwas, weil er davon ausgeht, sie sei vertraut mit dem Geschäft. Sie traut sich nicht fragen, verläßt sich notgedrungen auf das Wenige, das sie von den Schwestern mitbekommen hat. Mach’s gut und oft, verabschiedet sich ihr Besitzer launig und klopft ihr auf den Hintern, den anderen Mädchen kannst du gern sagen, daß du von mir kommst, Schwierigkeiten

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