Und nehmen was kommt
brauchst du keine fürchten. Ausgerechnet heute habe ich zwar anderes zu tun, aber sonst werde ich immer wieder einmal nach dem Rechten sehen, keine Angst.
Monikas Herz klopft bis zum Hals. Gleich wird sie also zum ersten Mal mit einem Mann Sex haben, und das unter diesen Umständen. Sie fürchtet sich, es ekelt sie. Erst als irgendwann das erste Auto stehenbleibt und der Mann sie auf deutsch anspricht, fällt ihr freilich wie Schuppen von den Augen, daß sie nicht ein einziges Wort versteht, daß sie weder über den Preis verhandeln kann noch seine Wünsche erkunden. Ob es im Auto passieren soll oder im Hotel, es ist ihr völlig unmöglich, das herauszufinden, und daß sich bei ihr ohne Kondom garantiert nichts abspielt, diese wichtige Klarstellung läßt sich nicht einmal unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen radebrechen.
Der Freier, relativ jung, sportlich, exakt getrimmter Vollbart, wiederholt sein Anliegen etwas lauter, Monika aber steht weiter vornübergebeugt vor dem heruntergekurbelten Fenster und glotzt ihm mit weitaufgerissenen Augen stumm ins Gesicht. Schließlich schüttelt er den Kopf, wendet sich ab, murmelt: Blöde Kuh, blöde, hält in Schrittgeschwindigkeit auf ein anderes Mädchen zu. Bis sie sich wieder aufrichtet und die Fassung einigermaßen zurückgewinnt, vergehen ein, zwei Minuten. Der Mann beobachtet sie beim Wegfahren im Rückspiegel. Vielleicht eine Hexenschußattacke, versucht er sich zu erklären, was er sieht.
Kann man sich daran gewöhnen, daß man die Welt so wenig im Griff hat? Daß man immer wieder kalt erwischt wird, in immer kürzeren Abständen, wie es scheint? Ein Anflug von Lächeln huscht über Monikas Gesicht, als sie sich jetzt eine Zigarette anzündet. Die Szene hatte unbestritten etwas Komisches, wie aus einer amerikanischen Filmkomödie. Das Problem ist nur, daß sie nicht mit dem Schnitt an der richtigen Stelle endete, sondern weiterläuft, und das ist gar nicht komisch.
Ihr bleibt die Hoffnung, daß es auch tschechischsprachige Kunden gibt, aber die wird von Mal zu Mal geringer. Mittlerweile winkt sie, sobald sie ein deutsches Kennzeichen wahrnimmt, den Wagen gleich weiter. Nach einiger Zeit überwindet sie sich und fragt eine der anderen jungen Frauen, wie groß denn eigentlich die Chance sei, daß wer von den Freiern tschechisch rede. Die Angesprochene überlegt eine Weile, dann meint sie: Schwer zu sagen, eins zu vierzig vielleicht, oder eins zu fünfzig. Ohne Deutsch oder zumindest Englisch kannst du jedenfalls gleich heimgehen, laß dir das gesagt sein.
Das würde Monika auch gern. Wie wird František wohl reagieren, wenn sie ihm gesteht, daß es einen Crashkurs Deutsch braucht, bevor sich seine zweifelhafte Investition vielleicht doch noch amortisiert? Er wird sie fragen, wie sie ohne Fremdsprachenkenntnisse bisher gearbeitet habe, und sie wird zugeben müssen, daß sie überhaupt noch nicht gearbeitet hat in diesem Gewerbe, daß sie überhaupt noch nicht gearbeitet hat. Vorbei ist es wieder einmal mit dem Starksein nach außen, er wird, fürchtet Monika, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder sie. Petr wird ihm wahrscheinlich weiß Gott was erzählt und ihr eine respektable Hurenkarriere angedichtet haben. Wenigstens soll František das Gefühl haben, daß sie sich wirklich bemüht hat, und deshalb stellt sie sich wieder zurück an ihren Platz. Halbherzig bietet sie sich noch viele Stunden an, aber die Tschechen haben entweder wirklich alle kein Geld, sind Stammkunden eingesessener Dienstleisterinnen oder suchen anderswo ihr Glück.
Gegen Mitternacht dreht sie leise den Schlüssel im Loch, aber František steht bereits hinter der Tür: So früh schon? Die Kinder sind längst im Bett, Monika versucht, über seine Schulter hinweg einen Blick in die erleuchtete Küche zu erhaschen, vor Anna würde er sich vielleicht etwas zurückhalten, aber keine Spur von Anna. Guten Abend, sagt sie leise. Wer so zeitig Feierabend macht, feixt ihr Gegenüber, muß besonders fleißig gewesen sein. Gehen wir gleich einmal die Abrechnung durch. Er schiebt sie unsanft in die Küche. Auf dem blanken Tisch steht eine Bierflasche neben einer offenen, halbvollen Thunfischkonserve, einer Packung Zigaretten, einem Feuerzeug, einer Gabel und einer angebissenen Scheibe Brot. Monika fällt ein, daß sie seit dem Morgen nichts gegessen hat, aber Hunger hat sie keinen, nur Angst, schreckliche Angst.
In Zeitlupe setzt sie sich auf einen Stuhl. František im gerippten weißen
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