Und nehmen was kommt
funktioniert. Meine Mutter, lügt sie dem Dealer jetzt vor, hat mir ein Sparbuch angelegt, aber das kriege ich erst, wenn es abgelaufen ist, in zwei Monaten. Wegen der Befristung für die höheren Zinsen. Und da habe ich mir gedacht, ich frage dich, ob du zur Anzahlung vielleicht meinen Paß nimmst. Ich hol ihn mir wieder, wenn das Geld da ist.
Er schaut skeptisch, dann nimmt er das Dokument, blättert es langsam durch, vergleicht das Paßbild mit der jungen Frau, die vor ihm steht, streicht Monika schließlich übers Haar. Sie haben sich in der Disco kennengelernt, Zuzana hat sie einander vorgestellt, sie haben getanzt und geplaudert, sich auf Anhieb verstanden. Filip ist dreißig, hat für Monika etwas Väterliches an sich, er hält eine gewisse Distanz, die ihr guttut, aber er kann sie leiden, spürt sie. Mit dem Vorrat wird sie auskommen, bis sich etwas Neues ergibt, nimmt sie sich vor. Wirst du länger hierbleiben, oder fährst du wieder zurück zu deiner Mutter? ruft er ihr nach, als sie schon im Gehen ist. Zurück zu meiner Mutter, sagt sie, ohne sich umzudrehen.
Seit acht Jahren hat Monika schwere Schlafstörungen. Bessere und schlimmere Phasen wechseln einander ab. Sie wünscht sich so sehr, einige Stunden am Tag einfach weg zu sein. Sie weiß nicht, daß Speed Gift ist dafür. Die späten Nächte auf der Luftmatratze sind jedenfalls die Hölle. Alles kommt hoch, sie erlebt sich als reine Versagerin. Fest hatte sie sich vorgenommen, Jaroslav einen langen Brief zu schreiben, sobald sie sich bei Kristyna und Emil eingewöhnt und Arbeit gefunden haben würde. Er sollte sich vorstellen können, wohin er nach dem Heim kommen würde, er sollte besser vorbereitet sein als sie.
Seither verschiebt sie den Brief von einem Tag auf den anderen. Soll sie ihm schreiben, daß ihr Sparbuch weg ist, ihr ganzes Startkapital, daß sie jetzt bei den Schwestern gelandet ist, daß sie keine Arbeit und sogar ihren Paß versetzt hat, um sich täglich bis auf weiteres für ungefähr acht Stunden aus der Trostlosigkeit verabschieden zu können? Sie schämt sich so vor ihrem sanften Bruder, der doch alle Hoffnung auf sie setzt. Nicht einmal ihre Adresse hat er. Was würde die Mutter wohl dazu sagen? Wie der Vater, würde sie sagen, denkt sich Monika auf ihrer Luftmatratze. Sie wagt sich kaum umzudrehen, weil das mit kratzenden Geräuschen verbunden ist und Tereza und Jana selbst schlecht schlafen. Wie gelähmt fühlt sie sich, alles tut ihr weh, und die Narben an den Armen schmerzen so stark wie lange nicht.
Sie wird, sie muß Jaroslav rechtzeitig verständigen, bevor er in einem Jahr selbst in die Fänge von Kristyna und Emil gerät, sie wird ihn warnen, dosiert freilich, damit er sich nicht allzu große Sorgen macht um sie. Bis in ein paar Monaten wird sich, muß sich alles zum Guten gewandt haben, und dann wird sie ihm davon berichten wie von einem bösen Alptraum, aus dem sie glücklich erwacht ist.
Sie besorgt sich starke Schlaftabletten. Die wirken zwar einigermaßen, aber am folgenden Tag fühlt Monika sich wie gerädert. Die Schere zwischen den guten Stunden auf Speed und den schlechten ohne geht immer weiter auseinander. Sie ißt kaum noch, trinkt viel zuwenig, nimmt ab, übel ist ihr, übergeben muß sie sich, die ersten Auszehrungssymptome machen sich bemerkbar. Zehn Wochen lebt sie jetzt dieses Leben.
Filip ist Experte, er weiß, was los ist. In der Disco nimmt er Monika zur Seite, drückt ihr den Paß in die Hand und meint: Mädchen, du schaust echt scheiße aus, mach dich bitte rechtzeitig aus dem Staub, ich mag dich nämlich. Von mir kriegst du jedenfalls nichts mehr, du hast keine Schulden, verstehst du, ich leg dir nichts in den Weg. Mach deine Ankündigung wahr, geh heim zu deiner Mutter und fang noch einmal von vorn an, bevor es zu spät ist.
Die Schwestern haben einen anderen Vorschlag: Sie kennen wen, der für einen Geschäftspartner weiter im Norden ein hübsches Mädchen sucht. Aber keine Angst, du brauchst dich nicht fürchten. Der Plan funktioniert todsicher. Wir verkaufen dich, Petr fährt dich hin, er kassiert unter falschem Namen für uns das Geld, du sagst dem Kerl, du hast gerade die Monatsblutung und kannst darum nicht gleich arbeiten. Am nächsten Tag steht Petr zur vereinbarten Zeit an einer Ecke, die ihr euch vorher ausmacht, du haust unter einem Vorwand ab, und es geht postwendend zurück. Das Geld teilen wir dann.
Die Chemie sorgt dafür, daß Monika keinerlei Einwände hat, im Gegenteil.
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