Und nie sollst du vergessen sein
Hause war. Obwohl sie mehrfach Sturm klingelte, wurde die schwere Holztür nicht geöffnet und auch an der Gegensprechanlage meldete sich niemand. Da auch einige Fensterläden geschlossen waren und in der Einfahrt kein Auto stand, musste Emma wohl oder übel davon ausgehen, dass wirklich niemand zu Hause war.
Ich werde ihn schon noch treffen, dachte sie, während sie den Heimweg antrat.
âJeder, dem ich bisher begegnet bin, erzählt mir etwas über die Rosenballnacht und Charlottes Verschwinden vor 15 Jahren, aber niemand hat auch nur irgendeine weiterführende Information für mich. Wo soll ich da nur anfangen?â, sinnierte sie laut vor sich hin und schaute gedankenverloren nach oben. Wenigstens reiÃt der Himmel etwas auf, dachte sie und fühlte sich gleich ein wenig besser, als sie bereits in die Hofeinfahrt der Villingers einbog und ihren Schlüssel aus ihrer Hosentasche hervorholte.
Sie hatte den Schlüssel noch nicht ganz ins Schloss gesteckt, da wurde ihr von innen bereits die Tür geöffnet.
âHallo Emma. So trifft man sich wieder. Erst sieht man sich ganze 15 Jahre nicht und dann hat man gleich zweimal an einem Tag das Vergnügenâ, sagte Roswitha Villinger mit ihrem gewohnt sanftmütigem Lächeln. Emmas Vermieterin kam ihr, in einen dicken Anorak gepackt und mit Autoschlüssel und Mülltüte bewaffnet, entgegen und hatte es anscheinend sehr eilig.
âAlles okay?â, fragte Emma, die sich innerlich schon auf ein weiteres längeres Schwätzchen mit Ihrer Vermieterin eingestellt hatte, so beiläufig wie möglich.
âIch muss meinen Sohn Markus am Witznaustausee abholen. Da unten ist der Franz, ein Bauer aus dem Dorf, tot im See gefunden worden.â
âTot?â Emma konnte kaum glauben, was sie da gerade gehört hatte.
âJa, das hat er mir so erzählt. Er wollte sich nämlich alles aus der Nähe ansehen. Also hat er sich, als er die Nachricht beim Einkaufen im Lädele gehört hat, sein Fahrrad geschnappt und ist die drei Kilometer den Berg runtergefahren. Der arme Franz.â
âWas ist denn passiert?â
âAnscheinend ist er im Witznausee ertrunkenâ, sagte sie. Sie bewegte ihre Hand Richtung Mund und tat so, als würde sie trinken.
âDer Alkohol. Aber jetzt ist er endlich bei seiner geliebten Martha und hat damit hoffentlich seinen Frieden mit sich und der Welt gefunden. Er hat, oder besser gesagt, er hatte den Tod seiner Frau nämlich bis heute nicht überwunden.â
âUnd warum sind Sie so sicher, dass der Bauer unglücklich in den See gefallen und dabei ertrunken ist?â
Roswitha Villinger fing laut an zu lachen: âAlso Emma, wir leben doch nicht in Berlin, Stuttgart oder in sonst einer GroÃstadt, wo jede Minute etwas Schlimmes passiert. Wir wohnen in Nöggenschwiel, da bekommt man vielleicht einen Herzinfarkt beim Wandern oder bricht sich beim Skifahren auf dem Feldberg ein Bein, aber man wird hier doch nicht einfach so umgebracht. Da geht deine Phantasie nun wirklich mit dir durch. Aber ich muss jetzt los, denn wir wollen gleich essen und im Tal funktionieren die Handys leider nicht. Also bis dann.â Roswitha Villinger lächelte ihr freundlich zu, lieà die Garagentür automatisch hochfahren und stieg in ihren kleinen blauen Polo.
Emma schaute der kleinen, leicht rundlichen Frau, die nun mit aufheulendem Motor vom Hof fuhr, hinterher. âWir sind doch nicht in einer GroÃstadt. Wir wohnen in Nöggenschwiel, da wird man nicht einfach so umgebrachtâ, lieà sie sich Roswitha Villingers Worte immer und immer wieder durch den Kopf gehen. Und was, wenn es doch nicht einfach nur ein Unglück war? Was, wenn jemand nachgeholfen hatte?
sechzehn
Ãberall da, wo der Weg nicht mit Steinen ausgelegt war, hatte sich über die vergangenen Tage so viel Wasser gesammelt, dass sich zentimetertiefe Pfützen gebildet hatten.
Ich muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche, ermahnte er sich zu einer gewissen Vorsicht. Schon einmal, da war er gerade sieben Jahre alt gewesen, hatte er beim Spielen nicht aufgepasst, war über einen Stein gestolpert und in ein für Nöggenschwiel sehr untypisches, da ungepflegtes Rosenbeet gefallen. Sein Knie hatte er sich dabei aufgeschürft, sodass ihm das Blut in die offenen Sandalen lief. Auch sein Gesicht hatte einige Schrammen abbekommen. Nur knapp hatte ein Stachel, der die edlen Blumen
Weitere Kostenlose Bücher