Und nie sollst du vergessen sein
AuÃergewöhnliches zugleich.
Franz Marder war zu 100 Prozent keines natürlichen Todes gestorben. Es hatte jemand nachgeholfen, so viel stand laut des zuständigen Rechtsmediziners fest. Der Schädel war in Höhe der linken Schläfe von der Wucht des Gegenstandes, mit dem der Landwirt attackiert worden war, regelrecht zerschmettert und dabei auf mehreren Zentimetern aufgerissen worden. Anhand der klaffenden Wunde und des verlorenen Blutes gingen die Rechtsmediziner am Institut der Freiburger Universitätsklinik davon aus, dass Franz Marder keine zwei Stunden tot gewesen war, als die Kriminalpolizei am Tatort eintraf.
âUnd mit welchem Gegenstand ist er ermordet worden?â, hörte Karl Strittmatter seinen jungen Kollegen reden. Da er den Lautsprecher eingeschaltet hatte, konnte er genau mithören, was der Rechtsmediziner am anderen Ende der Leitung antwortete: âIch kann im Moment nur so viel sagen: Es muss ein stumpfer Gegenstand gewesen sein. Etwas Schweres, und aller Wahrscheinlichkeit nach aus Metall. Den Rest hat sich leider das Wasser geholt und uns damit alle Anhaltspunkte zerstört.â
âDann fahren wir mal nach Nöggenschwiel und schauen uns im Ort und bei der Familie des Toten etwas genauer umâ, sagte Strittmatter, der ahnte, dass nicht nur der Samstag, sondern auch der Sonntag mit FuÃball-Bundesliga, der obligatorischen Currywurst und Pommes am Tiengener Bahnhof sowie einem Sixpack âTannenzäpfleâ zum Feierabend von jetzt auf gleich in weite Ferne gerückt war. Und das hellte seine Stimmung nicht gerade auf.
âUnd wann informieren wir die Presse?â, fragte Stefan Alt, dessen Augen aufleuchteten, in Vorfreude, dass am verwunschenen Hochrhein endlich mal etwas passierte. Viel zu oft hatte er sich um andere, langweilige Delikte kümmern müssen, die hauptsächlich bürokratisch am Schreibtisch abgearbeitet werden mussten. Denn es ist ja hier einfach nichts los, dachte er und hatte in Gedanken schon die Bildzeitung vor sich liegen, die gewohnt reiÃerisch sicherlich so was wie âLiebenswerter Bauer brutal erschlagenâ titeln würde.
âDas wird unser Chef zu entscheiden haben. Komm, auf gehtâs zurück in den tiefen, schwarzen Wald.â
Da Franz Marder verwitwet und kinderlos gewesen war, suchten die beiden Kriminalbeamten zuerst die beiden Brüder des Ermordeten auf.
Erwin Marder, der, wie sie bereits wussten, ein Mitglied des Männergesangvereins Weilheim war, trafen sie an diesem frühen Novemberabend nicht zu Hause an, so probierten sie es zuerst bei Heinz, dem Ãltesten der drei Brüder.
Seine Frau Johanna, eine warmherzige und liebenswürdige Frau, die im gesamten Ort sehr geschätzt wurde, öffnete den beiden Kommissaren die Tür.
âIst was mit Heinz?â, fragte sie, und ihre Augen weiteten sich vor Sorge um ihren Ehemann, noch bevor Karl Strittmatter sich und seinen Kollegen vorstellen konnte. Dabei bebte ihr schwerer Oberkörper unter der weiÃen Bluse, unter der sich ein unvorteilhaft geschnittener Büstenhalter all zu stark abzeichnete. Mit der linken Hand hielt sie sich am Türknauf fest.
âJetzt beruhigen Sie sich erst einmal. Ihrem Mann ist nichts passiertâ, sagte Strittmatter, der merkte, wie die Anspannung im Gesicht der Bäuerin purer Erleichterung wich.
âReagieren Sie eigentlich immer so nervös, wenn man unangemeldet bei Ihnen klingelt?â, fragte Stefan Alt, dem Johanna Marders Verhalten etwas merkwürdig vorkam.
âNa ja, normalerweise klingelt hier niemand, wissen Sie. Und dann denkt man eben gleich das Schlimmste, wenn es denn mal einer tut. Aber bitte, treten Sie ein. Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?â, fragte sie die beiden Kriminalbeamten und führte sie in die Stube.
Der gesamte Raum war holzvertäfelt. Eine für diese Gegend fast schon pflichtmäÃige Kuckucksuhr hing an der Wand. Gardinen mit feiner Spitze schmückten die Fenster, und der Boden knarzte bei jedem Schritt, den die drei in der mollig-warmen Stube machten. Eine alte, bereits sehr verlebte, aber in ihrem Ausdruck urgemütliche Essgarnitur mit dunkelgrünem Blumenmuster thronte inmitten des Zimmers. Auf dem davor stehenden Tisch lag ein weiÃer Läufer mit eingenähten roten Girlanden, der ebenfalls mit feiner Spitze verziert war. Eine graue Katze hatte es sich in einer Ecke in ihrem Korb gemütlich gemacht,
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