Und nie sollst du vergessen sein
durchgehen.â
Nicht schlecht, dachte Stefan Alt und schaute sich beim Gang durch den überdimensional groÃen Flur ins Wohnzimmer interessiert um. Während der Flur, der von der GröÃe her fast dem Foyer eines Fünf-Sterne-Hotels glich, eher spartanisch eingerichtet war und nur mit einem groÃen Kleiderschrank in einer Nische möbliert war, wirkte der Wohnraum hingegen fast überfrachtet. Teure Teppiche und Läufer bedeckten edles Parkett, das mit seinem geschachtelten Muster besser in ein französisches Gutshaus als in ein altes Bauernhaus im Schwarzwald gepasst hätte. Eine groÃe Sitzecke in hellbeigem Leder dominierte den Raum und wurde dabei von einer groÃen Schrankwand aus massiver Eiche, einem Bücherschrank und einer Kommode in dunklem Holz eingerahmt. Ein Flachbildschirmfernseher und ein Beistellwagen mit verschiedenen Likören und Schnäpsen krönten das Ensemble, das trotz all der wohnlichen Behaglichkeit und perfekten Harmonie keine Gemütlichkeit bei Stefan Alt aufkommen lassen wollte.
âWie, Sie haben mit uns gerechnet?â, polterte Karl Strittmatter in einem Ton, den Reinhold Nägele sanft, aber bestimmt zu übergehen wusste.
âWenn ich Sie bitten dürfte, etwas leiser zu sein. Ich habe hohen Besuch in meinen bescheidenen vier Wänden, und er hat sich kurz etwas hingelegtâ, entgegnete er freundlich, setzte sich in seinen Sessel und wies die beiden Beamten an, es ihm gleichzutun.
âEs geht um den Mord an meinem Freund Franz Marder, und da ich ihn als einer der Letzten lebend gesehen habe, musste ich ja damit rechnen, dass Sie früher oder später auch mich befragen werden. Sie wissen ja, so etwas spricht sich in einem kleinen Ort wie Nöggenschwiel besonders schnell herum.â
âAha.â Stefan Alt staunte über das selbstsichere, fast schon leicht arrogant anmutende Auftreten seines Gegenübers, auch wenn er Reinhold Nägele und dessen Einschätzung über das Klatschverhalten der Dorfbewohner mehr als Recht geben musste. Und Mord gehörte neben auÃerehelichen Affären und ungewollten Schwangerschaften ganz klar zu den Klatschthemen, für die man auch schon mal länger am Gartenzaun, an der Bushaltestelle oder im kleinen Gemischtwarenladen verweilt, um mit den neuesten Informationen versorgt zu werden oder das eben Gehörte weiter an den Mann und vor allem an die Frau zu bringen.
âUnd was können Sie uns dazu sagen? Sie sollen Franz Marder nicht nur als Letzter lebend gesehen, sondern einen Tag vor seinem Tod auch einen heftigen Streit mit ihm gehabt habenâ, fragte Stefan Alt und löste sich damit von seinen analytischen Gedanken über das Redebedürfnis der Nöggenschwieler.
âDer guten Frau Reisinger entgeht aber auch gar nichtsâ, stellte Reinhold Nägele mit einem etwas zu gewollten Grinsen fest. âJa, ich habe mich mit dem Franz unterhalten und es wurde auch etwas lauter, aber ob ich es einen Streit nennen würde, möchte ich jetzt nicht sagen. Der Franz redete schon seit Langem nur noch wirres Zeug, so auch gestern Abend. Und da ich für diesen Unsinn keine Zeit hatte, habe ich das Gespräch schnell beendet.â
âEs ging um Ihre Tochter, stimmt das?â, fragte nun Karl Strittmatter und wartete gespannt auf die Antwort seines Gegenübers. Wie vom einen auf den anderen Moment eingefroren erstarrte Reinhold Nägele in seinem Sessel. Mit einer ruckartigen Bewegung nahm er die Hände in seinen Schoà und presste sie dort mit aller Kraft zusammen.
Das scheint wohl der wunde Punkt zu sein, dachte Strittmatter und fuhr mit der Befragung fort: âIhre Tochter ist seit 15 Jahren verschwunden. Niemand hat seit jener Nacht des Rosenballs mehr von ihr gehört. Wir fragen uns, was hat Franz Marder damit zu tun und vor allem: Wie konnte er Sie deshalb so in Rage bringen?â
Langsam löste sich Reinhold Nägeles Verspannung und fast etwas eingeschüchtert und äuÃerst zaghaft antwortete er: âCharlotte war mein Ein und Alles, erst recht, nachdem meine Frau mich von heute auf morgen wegen eines anderen Mannes verlassen hat. Doch während der Franz alles durch seinen Alkohol verloren hat und noch nicht mal die Hilfe seiner Freunde â und darunter zähle ich mich auch â annahm, während er einfach aufgegeben und mit seinem Leben abgeschlossen hat, habe ich immer diese, mich am Leben erhaltende Hoffnung
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