Und nie sollst du vergessen sein
den Herbst bisher überdauert hatte, wirbelte Emma entgegen, als sie über den Hof ging.
Villingers Nachbarn, die mit ihnen über zwei Ecken verwandt waren, hatten bereits viele Rosenstöcke mit einer grünen, widerstandsfähigen Folie eingewickelt. An der Pergola hingen einige Kletterrosenstiele herab, die der Wind dankbar aufnahm, um sie zu einem Knäuel zu verknoten.
Eine Katze suchte unter der vor der Hauswand aufgestellten Holzbank Zuflucht, während sich jemand in der kleinen Einliegerwohnung für eine Wanderung zurechtmachte. Es schien ein Mann zu sein, so vermutete Emma, als sie näher hinsah, in der Hoffnung, etwas durch die Gardinen zu erspähen. Doch diese gaben kaum etwas von dem preis, was sich hinter ihnen abspielte.
Auch der Stall gegenüber, der mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Holzbalken im Sommer immer offen war und in dem sich meterhoch die Heuballen türmten, war verschlossen und winterfest gemacht. Der groÃe Traktor, der sonst immer vor dem markanten Schober stand, war weit und breit nicht zu sehen. Hätte im danebenliegenden Haus hinter einem Fenster nicht ein Licht gebrannt, hätte man meinen können, dieses Gehöft sei ausgestorben und verlassen.
Der Nebel hatte mittlerweile jeden noch so kleinen Raum zwischen den Häusern entlang der StraÃe ausgefüllt. Nur die Leuchtkraft der einzigen Laterne vor dem Hauptgebäude des Bauernhofes schaffte es mit ihrem Licht, nicht vollkommen im Nebel abzutauchen und so wenigstens zarte Umrisse des Hofgebäudes im Nebelschleier abzuzeichnen.
Dieser Nebel hatte etwas Schweres, Trauriges und in seiner konsequenten und unausweichlichen Dichte auch Unheimliches.
Für Emma war er zum Greifen nah und doch hatte sie das Gefühl, wie fremd zu sein in diesem Ort, in dieser StraÃe und erst recht unter diesem schauderhaft schummrigen Gewand.
Sie wollte gerade in die kleine SeitenstraÃe zum Kindergarten abbiegen, als sie zuerst Stimmen hörte und dann zwei Männer sah, die aus einem anfänglich nicht zu erkennenden Umriss mehr und mehr Gestalt annahmen. Als sie ganz zu sehen waren, und das war gerade mal zwei Schritte von ihr entfernt, bemerkten sie Emma und blieben abrupt stehen. Auch ihre Unterhaltung stoppte von jetzt auf gleich, fast so, als ob sie in Emma einen ungebetenen Mithörer vermuteten, der nichts von ihrem Gespräch erfahren sollte.
Wie Emma feststellen musste, waren beide zu gut gekleidet, um als einheimische Bauern durchzugehen. Der eine trug eine elegante Mütze, die einem russischen Pelzhut glich, dazu einen dicken Wintermantel und eine Cordhose. Die Lieblingsfarbe des Mannes musste eindeutig Braun sein, denn angefangen von der Mütze bis zu den Schuhen war alles in den typischen Herbstfarben Schoko, Cognac und Milchkaffee gehalten.
Emma war sich sicher, dass sie den Mann irgendwoher kannte. Aber es wollte ihr einfach nicht einfallen, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Auch der andere Mann war äuÃerst adrett gekleidet. Zu seiner schwarzen Hose trug er farblich passende Stiefeletten. Ein dikker Rollkragenpullover aus sandfarbenem Kaschmir wurde nahezu komplett von einer grünen Steppjacke mit einem breiten dunkelbraunen Kragen verdeckt, bei deren Anblick Emma direkt an einen Pferdezüchter, Reiter oder Jagdpächter denken musste. Eine feinmaserige Mütze und ein breiter Schal im typischen Burberry-Karomuster rundeten seinen Auftritt ab.
âGuten Morgenâ, sagte der Herr in Braun, während der andere nur vornehm mit dem Kopf nickte. âKann man Ihnen weiterhelfen? Haben Sie sich verirrt oder warten Sie nur auf jemanden?â
Plötzlich wusste Emma, wer der Mann war â Charlottes Vater. âHallo Herr Nägele, schön, Sie zu sehen. Wissen Sie noch, wer ich bin?â
âEhrlich gesagt, nein.â
âIch bin Emma, Emma Hansen. Charlottes Ferienfreundinâ, sagte Emma.
âOh ja, Familie Hansen. Ihr habt immer den Sommer hier verbracht. Ich erinnere mich. Was machst du denn jetzt so?â
âMeinen Sie hier oder generell?â, fragte Emma, die sich wunderte, wie schnell Reinhold Nägele jemanden für sich vereinnahmen konnte.
âNa, wenn du schon so fragst: beides.â Reinhold Nägele lächelte milde, aber durchaus interessiert.
âAuch wenn das Wetter nicht gerade dazu einlädt, so verbringe ich hier einige Urlaubstage. Einfach mal entspannen und nichts tun. Ich habe mich in den
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