Und Nietzsche lachte
nacktes Sein; solchen, die einfach nur da sind und sich zeigen; und die immer da, wo sie sich zeigen, den Menschen in ein verändertes Licht rücken: ein Licht der Schönheit, der Sinnhaftigkeit, der Stimmigkeit – ein Licht, das ihnen ein »sieghaftes ›Ja!‹« entgegenjubelt; selbst da, wo es im Finsteren aufscheint wie das Licht in einem fernen Gehöft. In einer Welt solcher Götter, so meine These, können wir fündig werden: Dort können wir den Sinn finden, der nur gefunden und nicht erfunden werden kann; den Sinn, der wirklich durchs Leben trägt, gerade weil er geschenkt und nicht gemacht ist; gerade weil er ewig und nicht konstruiert ist.
Vielleicht finden wir diesen Sinn nicht gerade bei den Göttern selbst, aber doch in einer Philosophie, die sich in ihrem Lichte hielt: in der ältesten Philosophie, der antiken griechischen Philosophie. Wir werden sehen …
»Aber die Götter sind doch tot!«, höre ich Sie einwenden. »Aber sind sie das wirklich?«, frage ich zurück. Der Dichter Hölderlin jedenfalls meinte, sie seien nur entflohen. Er sagte: »Zwar leben die Götter, / Aber über dem Haupt droben in anderer Welt. / Endlos leben sie dort und scheinen’s wenig zu achten, / Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns. Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen, / Nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch.«
Was, wenn das der Grund unserer Sinnfinsternis wäre? Was, wenn wir deshalb ins existenzielle Vakuum gefallen wären? Nicht, weil der wollende und machende jenseitige Schöpfergott starb und der Mensch als sein Stellvertreter versagte – sondern weil wir verlernt haben, das Göttliche inmitten der Welt zu sehen? Weil wir das Göttliche erst ins Jenseits verwiesen und dort dann für »tot« erklärten? Weil wir im Spirituellen der Erde untreu geworden sind? Weil wir deshalb mit Blindheit geschlagen sind, wenn das Göttliche, Ewige, Sinnvolle, Bejahenswerte sich vor unseren Augen enthüllt – uns entgegenjubelt? Weil wir verlernt haben, die Schönheit in der Welt zu entdecken, und uns deshalb einreden, wir müssen sie selber – machen?
Tja, was wenn … Wollen wir es ausprobieren? Wollen wir aufbrechen in eine andere geistige Welt, ein anderes Paradigma und eine andere Zeit, die anders vom Leben dachte, die das Leben anders fühlte und seinen Sinn anders erfuhr – nicht als Gewolltes, sondern schlicht als Sein? Na, dann lesen Sie weiter!
Drittes Zwischenspiel im Himmel
Apollon hatte bislang schweigend zugehört. Nun aber ließ er seine glockenhelle Stimme erklingen: »Hey, Platon«, rief er laut und winkte den bärtigen Philosophen herbei, »wärest du so gut, diesem Herrn zu erklären, wer ich bin. Er hat mich, wie mir scheint, nicht recht verstanden.«
»Na, da haben wir ja etwas gemeinsam«, scherzte Platon, »denn mich hat dieser Bursche auch gründlich fehlgedeutet. Aber wir wollen es ihm nachsehen. Denn offen gestanden gibt es kaum einen Sterblichen, der mich nicht missverstanden hätte.«
»Wohl wahr«, nickte Apollon, »aber was war es doch gleich, das dieser gute Mann über mich geschrieben hat? Vom ›Apollinischen‹ war wohl die Rede?«
Platon besann sich kurz und hob dann an zu rezitieren: »Er – damit meint er Sie, erlauchter Herr – ist der ›Scheinende‹ durch und durch: in tiefster Wurzel Sonnen- und Lichtgott, der sich im Glanze offenbart. Die ›Schönheit‹ ist sein Element: ewige Jugend ihm zugesellt. Aber auch der schöne Schein der Traumwelt ist sein Reich: die höhere Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zustände im Gegensatz zu der lückenhaft verständlichen Tageswirklichkeit erheben ihn zum wahrsagenden Gotte, aber ebenso gewiss zum künstlerischen Gotte. Der Gott des schönen Scheins muss zugleich der Gott der wahren Erkenntnis sein.« Kaum dass er geendet hatte, kommentierte Platon: »Gar nicht schlecht, nur eines gefällt mir nicht daran.«
»Was denn?«, entgegnete Nietzsche leicht pikiert.
»Die Sache mit der Traumwelt, mein Gutster«, erwiderte Platon. »Bei dir kommt es so raus, als sei der Gott ein Träumer – einer, der die Welt in einem Lichte erscheinen lässt, das sie gleisnerisch und trügerisch verklärt, um – wie du gelegentlich schreibst – das Leben ›erträglich‹ zu machen. Aber so gewiss er wahrhaft der ›Scheinende‹ ist, so ist es doch der Schein der Wahrheit, der in ihm sich enthüllt. Apollinisch – um deine Worte zu verwenden – ist nicht die Qualität des Schön-Geredeten oder
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