Und Nietzsche lachte
die Bedeutung unseres Lebens selbst sorgen, nämlich indem wir es interpretieren und deuten – ihm eine Bedeutung geben.
»Hermeneutik der Existenz« nennt Schmid dieses Geschäft. Damit beginnt die philosophische Lebenskunst. Und das geht so: »Als Kunst, sich in der Welt zurechtzufinden, dient sie [die Hermeneutik der Existenz] dazu, Sinn und Bedeutung im Leben und in der Welt zu erschließen. Allerdings wird bei dieser hermeneutischen Tätigkeit nicht einfach nur ein vorhandener Sinn ausfindig gemacht, sondern tückischerweise ein subjektiver Sinn in die Dinge hineingelegt , um dann aus ihnen herausgelesen zu werden. Nie haben wir die Gewissheit, einen ›objektiven Sinn‹ entdeckt zu haben, denn immer spielen unsere Interessen, unsere Wünsche oder auch nur die Blickrichtung unserer Aufmerksamkeit eine sinnstiftende Rolle, von der wir uns wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt völlig lösen können: Das ist der berüchtigte ›hermeneutische Zirkel‹. Man kann sich darüber ärgern, man kann sich seiner jedoch auch bewusst bedienen, um den Dingen Sinn und Bedeutung zu geben, statt nur darauf zu hoffen, dass sie auch ohne unser Zutun Sinn und Bedeutung haben, die wir nur zu entschlüsseln hätten.«
Merken Sie, wie sehr Schmid sich in den Bahnen Nietzsches bewegt? Was immer uns als Sinn erscheint, sagt er, ist nichts, was wir einfach nur gefunden hätten. Nein, wir haben diesen Sinn erst durch unsere Perspektiven, Projektionen und heimlichen Wünsche in die Phänomene hineingetragen, so dass der vermeintlich »objektive« Sinn in Wahrheit nur das Spiegelbild unserer höchst subjektiven Wünsche und Bedürfnisse ist – unseres unreflektierten Willens zur Macht, wie Nietzsche wohl sagen würde. Und so wie Nietzsche vor dem Hintergrund dieser Diagnose dazu auffordert, nun endlich bewusst und entschlossen unseren Willen zur Macht zu aktivieren, um bewusst und entschlossen die Welt nach unserem Bilde zu schaffen, so legt auch Schmid seinen Lesern nahe, »dem Leben Sinn zu geben« – und zwar »einen Sinn, der der Gesamtheit oder dem Einzelereignis des Lebens nicht etwa nur abzulesen ist, sondern hineingelegt werden muss, um herausgelesen werden zu können«.»Selbstmächtigkeit« nennt Schmid diese Fertigkeit der Lebensdeutung und -gestaltung, was ebenfalls stark an Nietzsche erinnert.
Was aber heißt das in Schmids Lebenskunst: seinem Leben Sinn geben? Wie soll das gehen? Seine Antwort fällt erwartungsgemäß ganz im Sinne Nietzsches aus: »Gestalte dein Leben so, dass es bejahenswert ist.« – In diesem »existenziellen Imperativ« ist Schmids ganze Lebenskunst verdichtet. Wobei seine besondere Pointe darin liegt, die Bejahbarkeit des Lebens mit seiner Schönheit zu identifizieren. »Schön ist, was als bejahenswert erscheint«, erläutert er sein Verständnis von Schönheit – und trifft damit, wie mir scheinen will, durchaus den Nagel auf den Kopf. Denn Schönheit und Sinn haben tatsächlich viel miteinander zu tun. Aber dazu später mehr.
Was für uns wichtig ist: Schmid behauptet, dass sowohl Schönheit als auch Sinn Produkte unserer Selbstmächtigkeit sind; weil sie nur dann in unser Leben treten, wenn wir es so gestalten, dass wir »Ja« zu uns sagen. Weder Schönheit noch Sinn sind objektive Realitäten – sondern subjektive Konstrukte, die eines gemeinsam haben: Sie sind Chiffren für das unbedingt Bejahbare.
Die Schön-Gestaltung und Sinn-Stiftung des eigenen Lebens ist dabei aber keineswegs eine Sache der Willkür. Wie Nietzsche meinte, der Übermensch müsse sein Schicksal wollen und sich in seinem Geworden-Sein bejahen, so beginnt auch Schmids Lebenskünstler damit, dass er auf das So-Sein seines eigenen Lebens blickt. Und zwar mit den Augen des Interpreten. Er liest gleichsam im Text seines Lebens und sucht darin nach einer Bedeutung. Wobei die Kunst darin besteht, »mithilfe von Interpretationen denjenigen Zusammenhang herzustellen, der in der Lage ist, dem Leben Sinn zu geben«.
Offensichtlich orientiert Schmid sich bei seiner »Hermeneutik der Existenz« am Modell einer Textinterpretation – einer Lektüre, die es darauf anlegt, die Bedeutung eines Textes herauszufinden; wobei Schmid – mit dem Gros der gegenwärtigen Philosophie – keinen Zweifel daran hegt, dass Interpretieren immer ein Sinnstiften und nie ein Sinnfinden ist. Was ja nicht viel anders auch schon die alten Nominalisten gelehrt hatten, wenn sie darauf bestanden, dass Bedeutungen nicht absolut und zeitlos, sondern
Weitere Kostenlose Bücher