Und Nietzsche lachte
als diejenige intelligente Energie, die ein komplexes, lebendiges System innerlich ausbalanciert und somit dessen inneren Zusammenhalt durch alle äußeren Störungen und Turbulenzen hindurch stets neu zu generieren weiß. Und das im Fluss der Zeit, in kontinuierlicher Bewegung, im immer neuen Spiel des Polaren.
Halten wir kurz inne, um uns darauf zu verständigen, wo wir stehen. Wir haben die alte griechische Auslegung des Seins im Ganzen so weit rekonstruiert, dass wir sagen können: Sein ist das rastlose Geschehen von phýsis – ein stetes Werden, Erscheinen, Zutage-Treten. Dieses Geschehen ist getragen und befeuert von der Energie der psyché . Sie ist gesteuert vom Prinzip des GUTEN, das die Mannigfaltigkeit des Seienden in systemische Ordnungen integriert, in denen sich Vielfalt in stimmige Einheit fügt. So wie auch Sie und ich Wesen sind, die auf innere Balance, Harmonie und Gleichgewicht ausgerichtet sind – und die immer dann zu sich und der Welt »Ja!« sagen können, wenn sie diese Qualitäten an, in und um sich erfahren. Folgt man Platon und den Griechen ins Herz des Lebens, dann ist es nicht Wille zur Macht, der darin pulst, sondern Wille zum Sinn: Wille zur Harmonie, zum ES STIMMT.
Die Symphonie des Lebendigen. Ein Ausflug in die Naturwissenschaft
Dies alles ist heute in weite Ferne gerückt. So scheint es. Aber so scheint es auch nur. Denn bei näherem Hinsehen kann man feststellen, dass sich der westliche Geist seit gut hundert Jahren dahin bewegt, die alte Auslegung der Welt zu neuen Ehren zu bringen: Neuere Erkenntnisse aus Kosmologie, Biologie, Psychologie und Systemtheorie legen inzwischen ein Weltbild nahe, das dem der antiken Denker erstaunlich nahe kommt. Sicher ist es kein Zufall, dass die Pioniere dieses neuen wissenschaftlichen Denkens häufig Anleihen bei Platon und Heraklit machten, um ihre Entdeckungen und Erkenntnisse zur Sprache zu bringen. Das gilt für Werner Heisenberg nicht anders als für Erwin Schrödinger oder Carl Friedrich von Weizsäcker. Besonders deutlich wird das in den Arbeiten des 2003 verstorbenen Chemikers Friedrich Cramer: einer der wenigen zeitgenössischen Naturforscher, die sich nicht scheuten, zugleich auch Naturphilosophen zu sein.
Cramer legte in seinem Werk Symphonie des Lebendigen den »Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie« vor, die nicht mehr und nicht weniger bietet als den kühnen Anlauf zu einem wissenschaftlichen Paradigma, das Erkenntnisse aus allen Wissenschaftszweigen – einschließlich der Quantentheorie – zu einem naturphilosophischen Gesamtbild integrieren will. Es ist dabei alles andere als Zufall oder eine humanistische Liebhaberei, dass er jedes seiner Kapitel mit einem Heraklit-Zitat beginnt und allenthalben auf Platons Dialog Timaios Bezug nimmt. Denn in der Sache entspricht die »allgemeine Resonanztheorie« ziemlich präzise dem, was diese beiden Denker vor rund 2500 Jahren dachten.
Ohne mich zu weit auf dieses Feld begeben zu wollen, scheint es mir doch nützlich, einen flüchtigen Blick auf Cramers Theorie zu werfen, weil so erkennbar wird, dass unsere Deutung von Sinn im Sinne des ES STIMMT nicht allein uralten und so gänzlich unmodern wirkenden Denksystemen verhaftet bleibt, sondern sich passgenau in ein avanciertes, wissenschaftliches Weltbild fügt. Wichtig ist mir das deshalb, weil ich Sie kaum dazu einladen kann, Ihr Leben an einem Sinnverständnis auszurichten, das nicht mit einer Auslegung der Welt im Ganzen kompatibel wäre, die sich auf der Höhe der Zeit bewegt. Allein auf Treu und Glauben möchte ich Ihnen jedenfalls nicht meine Theorie des ES STIMMT unter die Nase reiben.
Also, wagen wir einen kurzen Ausflug in wissenschaftliche Gefilde. Dort werden wir zunächst mit der äußerst irritierenden Erkenntnis konfrontiert, dass unsere liebgewonnene – von Aristoteles herrührende – Vorstellung nicht mehr so recht greift, wonach die Welt im Ganzen aus geformter Materie besteht. Tatsächlich wissen wir heute aus der Erforschung subatomarer Ereignisse, dass dasjenige, was wir dort beobachten, sowohl als (nicht-materielle) Welle als auch als (materielles) Teilchen beschrieben werden kann. Die »allgemeine Resonanztheorie« Cramers baut nun darauf auf, dass dieser Tatbestand nicht allein für die subatomare Welt gilt, sondern ebenso für die makroskopische Welt im Ganzen. Auch dort dürfe man davon ausgehen, »dass alle stabilen Strukturen [d.h. alles Seiende] in der Realität Schwingungen bzw. Harmonische
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