Und oben sitzt ein Rabe
Wünschen?«
Stücker winkte ab. »Ich bin kein Teilchen in der Maschine«, sagte er stolz, »ich bin Treibriemen. Damit habe ich, was ich will, Macht, und die Möglichkeit, sie zu nutzen. Das ist meine Lust, die mir bei der Beschaffung anderer Lüste hilft. Ihre bürgerlichen Freiheiten sind für jene da, die selbst zu schwach sind. Ich habe hier die Freiheit dessen gehabt, der Macht und Geld besitzt, und ich werde auch in jedem anderen System oben sein.« Er lächelte, beinahe wehmütig. »Ach, wenn ich an die nützlichen Idioten der bundesdeutschen Administration denke. Es war so schön, mit ihnen zu spielen. Vielleicht werde ich mich langweilen.«
Baltasar hustete. Er sehnte sich nach einer Zigarre. »Dieser Terminus«, sagte er mühsam, »wird ja eigentlich hier anders angewendet. Ich meine die nützlichen Idioten.«
Stücker grinste. »Ja. Nett, nicht? Wer arbeitet denn dem Gegner in die Hände? Der, der sich gegen Mißstände wehrt, oder der, der sie verursacht?« Er blickte auf die Uhr und nahm das Bein vom Tisch. »Es wird Zeit.«
Baltasar bewegte auffordernd den Kopf. »Moment, es gibt noch reichlich Fragen. Ich weiß, daß und wie Sie Naumann erschossen haben; ich nehme an, weil er etwas wußte. Aber was war es genau?«
Stücker zögerte. Dann lachte er. »Es spielt, wie bereits mehrfach gesagt, keine Rolle mehr. Eigentlich ist es ganz einfach. Sie haben wahrscheinlich Ihre Vermutungen, können aber nichts beweisen, nicht wahr?«
Baltasar nickte. »Ich denke zum Beispiel an unredliche Ausnutzung noch nicht spruchreifer Projekte.«
»Nett gesagt. Ja, natürlich. Als Gutachter habe ich oft Vorstudien zu Projekten angefertigt, die erst lange danach definitiv beraten wurden. Natürlich war ich wie alle verpflichtet, meine Kenntnisse nicht auszunutzen. Man muß sich vorsehen. Ich habe, wann immer etwas Interessantes anstand, dafür gesorgt, daß unbescholtene Leute namens Meier, Müller oder Schmitz mit Geld, das mir gehörte, wertlose Grundstücke kauften, die später plötzlich für eine Autobahn oder einen großen Verwaltungsbau benötigt wurden. Ein Teil des Ertrags blieb natürlich bei den Müllers & Co. Außerdem mußte ich gelegentlich in die Zuneigung wichtiger Leute investieren ...«
Baltasar sog wieder an seinem Strohhalm; der Kaffee war inzwischen kalt. »Ich schätze, daß einige der von Ihnen geförderten Projekte durchgeführt wurden, weil Sie nicht versäumt hatten, die zuständigen Beamten in bar zu überzeugen.«
Stücker grinste wieder. »Sie drücken das so fein aus. Matzbach, ich glaube, wir hätten gute Freunde werden können. Egal. Leider war ich nicht immer so vorsichtig. Ein- oder zweimal habe ich als Strohmann einen Menschen genommen, der in den letzten dreißig Jahren seines Lebens ein Schläfer des KGB war. Wissen Sie, was ein Schläfer ist? Einer, der vielleicht einmal aktiviert wird, sozusagen auf Abruf, aber bis dahin völlig normal lebt und nicht auffällt. Dieser Mann hatte mir vor Jahren für einen Grundstückskauf im Zusammenhang mit der Ramersdorfer Autobahn seinen Namen geliehen. Jetzt ist er tot.«
Er seufzte und starrte ins Leere. Dann schüttelte er den Kopf und fuhr fort.
»Man ist nie vorsichtig genug. Mit seinem Tod wäre eigentlich alles erledigt, aber leider habe ich in ihm eine Art Zuneigung geweckt. Nun kommen ein paar blödsinnige Zufälle zusammen. Vor kurzem ist ein KGB-Mann in Washington abgesprungen und hat seinen Gastgebern eine Namenliste überreicht. Ich stehe nicht darauf, aber der teure Verstorbene, der Schläfer. Dieser hat, wegen der erwähnten freundschaftlichen Gefühle und weil er sonst kaum Anhang hatte, mich in seinem Testament bedacht. Das Testament hat ausgerechnet Naumann aufgesetzt. Daher kannte er meinen Namen. Dann wurde ich gewarnt, wegen der Liste. Ich habe also beschlossen, langsam meine Zelte abzubrechen und alles in Sicherheit zu bringen. Nach all den Jahren habe ich natürlich keine Lust, in einem hiesigen Gefängnis zu enden. Ich ziehe bescheidenen Luxus vor.«
Er legte das andere Bein auf die Tischkante und starrte Matzbach an.
»Zweiter Zufall ist folgender. Naumann arbeitete mit einem bestimmten Makler zusammen. Ausgerechnet diesem Makler habe ich mein Haus in Oberdollendorf angeboten, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Naumann ein Objekt außerhalb der City suchte, weil er seine Altbauwohnung satt hatte. Eines Tages kam er mit dem Makler zu einer Besichtigung. Ich hätte meinen Rückzug komplett allein durchführen
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