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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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gedacht?«
    »Mir war rätselhaft, wie man Intelligenz und Neigung zu schönen Dingen mit den völlig irrsinnigen Projekten vereinbaren soll, die Sie immer befürwortet und durchgezogen haben.«
    »Sie haben recht. All die Projekte waren und sind kompletter Blödsinn.«
    »Dann habe ich mir gedacht, daß Sie, um zu Macht und Geld zu gelangen, einfach skrupellos Unsinn verkauft haben. Aber Macht und Geld hätten Sie auch anders bekommen können.«
    »Wohl wahr«, sagte Stücker; »habe ich auch.«
    »Dann kam mir der Verdacht, Ihre politischen Scherze könnten vielleicht Ernst sein, finsterer Ernst. Und ich dachte an Ihre Rede, daß für etwas nicht unbedingt die Zeit abgelaufen sein muß, wenn man den Willen hat, die Uhr zu manipulieren. Dieser Satz brachte mich, wörtlich genommen, überhaupt erst auf die Idee, Ihr Alibi anzuzweifeln. Vielleicht, überlegte ich, hat er es selbst wörtlich genommen. So kam ich auf den verstellten Wecker.«
    »War doch ein guter Einfall, oder?«
    Baltasar nickte. »Was aber hätten Sie getan, wenn Eva einen Radiowecker hätte?«
    Stücker lächelte kalt. »Ich hatte zwei andere Damen in petto, beide mit Wecker. Sie sind allerdings nicht rothaarig, deshalb war dies im Rahmen der Geometrie die beste Möglichkeit.«
    Baltasar machte große Augen. Beinahe andächtig sagte er: »Dann wird mir die Symbolik Ihrer Handlungen erst völlig klar. Ich muß Ihnen noch ein Kompliment machen.«
    Stücker neigte dankend den Kopf. »Borges hat mich auf viele Ideen gebracht. Ich wollte eine persönliche, wenn auch nur wenigen lesbare Spur hinterlassen, die als Beweis nicht ausreicht. Vielleicht hätte ich es ohne diese Eitelkeit besser und unauffälliger machen können. Die Nähe von Zeugung und Tod, die Farben und die Formen.« Er lächelte.
    Baltasar fühlte seine Hände nicht mehr. »Stücker, dachte ich, ist nicht nur in Sachen Grammatik für
Law and Order
, sondern überhaupt für strenge Regeln. Es könnte sein, daß Sie mit Ihren Projekten die Macht der Zentrale gegen die Bevölkerung stärken wollten. Um auf diese Weise den von Ihnen so gesehenen Untergang des Abendlandes aufzuhalten.«
    Er warf einen Blick aus dem Fenster, das vermutlich nach Westen ging.
    Stücker folgte dem Blick und deutete auf die Gitter. »Schreien Sie ruhig. Der ganze Block ist leer, bis auf uns, und im Park ist auch niemand. Weiter, bitte.«
    »Ich habe Ihre Reden über das Imperiale hin und her gewendet. Alle Imperien bauen auf dem Befehl des Starken über den Schwachen auf, eben
imperare
. Dann dachte ich, Stücker ist zu intelligent, um sich einzubilden, durch derartige Aktionen in der unwichtigen Bundesrepublik den Untergang der westlichen Welt aufhalten zu können. Indem er die Starken, sprich Bürokratie und Industrie, bei Projekten unterstützt, die nichts stärken, sondern durch Zerstörung vieles schwächen. Die Uhr des westlichen Imperialismus läßt sich bestimmt nicht in Bonn zurückdrehen. Außerdem ist sie völlig abgelaufen.«
    Stücker blickte demonstrativ auf die Uhr. »Machen Sie schneller«, sagte er, »ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    Baltasar seufzte. »Sie gehören offenbar zu den Leuten, die hinter einem freien Spiel der Kräfte gleich Chaos vermuten. Übrigens eine sehr deutsche Gewohnheit. Die Erkenntnis, daß Demokratie eine Form von stabilisierter Unordnung sein muß, hat sich bei unseren Landsleuten nie durchsetzen können. Sie wollen immer Ruhe und den starken Mann. – Jedenfalls habe ich beschlossen, Ihre geäußerte Sehnsucht nach einer
pax britannica
oder
pax romana
wörtlich zu nehmen. Stücker will, dachte ich, Frieden um jeden Preis. Es soll nicht Konkurrenz ein nicht Debatte, sondern einer soll herrschen, damit keiner streite. Diskussion ist verbaler Unfriede, ja? Pluralismus Chaos, wie? Dann begriff ich, daß nicht
unsere
Republik das Erbe der preußischen Ordnungsvorstellungen angetreten hat, denen Sie offenbar anhängen. Die DDR ist das wahre Deutschland, in dieser Hinsicht. Und nicht der Westen, sondern der Osten ist politisch und militärisch imperial. Wenn wir die bald in Agonie fallenden westlichen Wirtschaftsknebel aus dem Spiel lassen. Die können, wenn es hart auf hart geht, nur vor Ort von Soldaten zugedreht werden. – Also haben Sie sich gesagt: Wer es ist, ist mir gleich, nur soll einer herrschen, daß dieser Unfriede ein Ende habe. Also
pax sovietica

    »Richtig«, sagte Stücker. »In meinem Herzen habe ich das erwogen, als die Alliierten, die westlichen, am 17.

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