Und plötzlich gehörst du ihm...
wieder ins Internat zurückkehren würde.
»Ich finde es sehr nett von
dir, nur will ich überhaupt nicht bei dir wohnen. Ich will im Internat bleiben
und einfach mal bei dir reinschauen, wenn ich frei habe.«
»Okay«, sagte er ganz ruhig,
»aber ich habe eine Bitte an dich.«
»Was denn?«
»Ich darf heute nach Hause,
wenn jemand für mich sorgt. Ich komme schon selbst zurecht, aber jemand muss
unterschreiben. Würdest du das tun?«
»Ich kann nicht die ganze Zeit
bei dir bleiben, da hat meine Mutter was dagegen«, antwortete ich, und es
erstaunte mich, dass er ausgerechnet mich darum bat.
»Nein, das erwarte ich auch
nicht von dir. Wenn du unterschreibst, darf ich nach Hause, und da komme ich
schon selbst klar. Ich kann ja auch jederzeit meine Schwester anrufen.«
Ich blickte kurz hoch und sah
ihm an, dass er mich fast um die Unterschrift anflehte.
»In Ordnung«, sagte ich. »Auf
eigenes Risiko.«
In dem Moment nahm er meinen
Kopf zwischen beide Hände und gab mir einen Kuss auf den Mund.
N ach diesem ersten freien
Wochenende kam mir das Leben im Internat ziemlich gleichförmig vor. Um halb
acht aufstehen, essen, duschen und ab in die Schule. Mittags essen und schwupp,
wieder in die Schule. Nach der Schule kurz in den Klub oder mit Marja
rumalbern.
Marja war meine Freundin im
Internat. Sie gehörte zu einer anderen Gruppe, aber das machte es gerade so
schön. Marja war ein Jahr jünger als ich und sehr beliebt in ihrer Gruppe. Wenn
wir gegen fünf Uhr die Essenwagen in Richtung der Gruppen fahren sahen, wussten
wir, dass wir schnell zum Essen in unsere eigene Gruppe mussten. Das war auch
so eine Regel: Alle sollten zusammen am Tisch sitzen.
Jeden Tag pünktlich um sechs
Uhr rief Mike an. Daher aß ich immer schnell und wartete anschließend auf
seinen Anruf. Meistens saßen wir dann noch beim Nachtisch. Zum Glück mochte ich
den nicht. Wenn im Flur die Klingel des Telefons ertönte, schrie ich: »Mike!«,
dann sprang ich auf und flitzte ins Zimmer des Gruppenleiters. Mike rief von
einer Telefonzelle an, deshalb hatten wir diese Zeit vereinbart, damit er mich
auch sicher erreichte.
Meistens dauerten unsere
Gespräche nur fünf Minuten, und im Wesentlichen ging es darum, dass Mike mir
sagte, er vermisse mich sehr und ich könnte immer bei ihm wohnen und ich
bräuchte mir über nichts Sorgen zu machen. Er versprach, dass er für mich
sorgen würde, sodass wir zu zweit glücklich werden könnten. Allerdings konnte
ich ihn jedes Mal davon überzeugen, dass ich im Internat am besten aufgehoben
war, dass ich es toll fand, dass er mich jeden Tag anrief, und dass ich seinen
Anruf kaum erwarten könnte. In der Regel endeten die Gespräche mit einem
Piepston, weil das Geld zu Ende war.
Eines Tages sagte er plötzlich:
»Ich liebe dich. Und jeden Tag, an dem du nicht hier bist, vermisse ich dich.«
In diesem Moment kam Piet ins Zimmer. Als er mich etwas fragte, erschrak ich
dermaßen, dass ich mit der Hand einen Knopf berührte, der die Verbindung
unterbrach.
»Was ist?«, fragte Piet.
Verdattert schaute ich erst ihn
und dann das Telefon an. »Ich, eh... habe die Verbindung unterbrochen, sagte
ich und brach in Lachen aus.
»Was ist daran denn so
witzig?«, fragte Piet und setzte sich auf den Rand des Schreibtischs, auf dem
das Telefon stand.
»Der coole Mike sagt, dass er
mich liebt! Ha, wer hätte das gedacht!«
»Und du?«, fragte Piet
nüchtern. »Liebst du ihn?«
Das Lachen verging mir mit
einem Schlag, und mir wurde klar, dass es ernst war. »Ob ich ihn auch liebe?
Hm, ich weiß nicht. Ich finde ihn sehr nett. Er gibt mir das Gefühl, dass ich
wichtig bin und etwas Besonderes, und er gibt mir Sicherheit. Das gibt mir ein
ungeheuer gutes Gefühl, wenn jemand hinter mir steht, der mich beschützen will.
Aber ob ich ihn liebe? Tja, vielleicht schon, aber ich glaube nicht auf die
Art, die er meint.«
»Bist du verliebt?«
Ich lief rot an.
»Also doch«, sagte Piet.
»Ich denke, ja. Ich warte immer
total gespannt darauf, dass er anruft, und ich kann es kaum abwarten, ihn zu
sehen, wenn ich frei habe. Er hat schon ein paar Mal gesagt, dass er mich holen
kommt, falls ich will, und dass ich dann bei ihm bleiben kann.«
»Willst du das denn?«, fragte
er.
»Nein«, sagte ich. »Ich weiß,
dass hier mein Platz ist, und ich weiß auch, weshalb ich hier bin. Hier gefällt
es mir, da habe ich keinen Zweifel.«
In diesem Moment wurde unser
Gespräch durch das Läuten des Telefons unterbrochen.
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