...und plötzlich war alles ganz anders... (Kriminalromane) (German Edition)
umständlich mit einem festen Lesezeichen etwas glatt. Was dort in krakeliger Handschrift zu lesen war, ließ ihm den Atem stocken.
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Hallo Gerd. Alles Gute zu deinem Geburtstag, dein Freund Robert.
Übrigens: Mein Geburtsname war: Robert Wagedorn. Ihr habt meine Schwester umgebracht! Das mit Micoliç war ein Unfall. Von ihm wusste ich jedoch gleich zu Beginn der Ermittlungen, dass du damals dabei warst. Er hat mir auch gestanden, dass er Malte Pieper umgebracht hat. Feiere schön und denke nicht daran, mich vor den Kadi zu zitieren, denn wenn du dies hier liest, dann bin ich bereits tot.
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Vor Jahren noch wäre er jetzt sofort zur Gefängnisverwaltung gerannt und hätte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ein Wiederaufnahmeverfahren zu bekommen. Jetzt aber lächelte er nur still, nahm ein Stück seiner Torte und genoss seine Ruhe.
„Du warst es also“, flüsterte er leise, während er bedächtig an dem Stück Kuchen kaute: „Du warst der kleine Bruder von Maria, der damals ständig im Internat war, den kaum jemand im Dorf je zu Gesicht bekommen hatte.“
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Natürlich hatte er ihn nicht wiedererkannt. Er hatte ihn damals nur zwei Mal gesehen. Und jetzt erinnerte er sich an Martellis letzten Besuch. Die Andeutungen die er gemacht hatte. Gabler hatte nie verstanden, wieso Martelli so umfassend informiert war. Selbst er und seine Freunde hatten nie herausbekommen, was damals mit Malte Pieper wirklich geschehen war. Martelli wusste es. Und dieses Wissen hatte er von Mario Micoliç. Robert war der Unbekannte, nach dem vor sechs Jahren die gesamte Hamburger Polizei gefahndet hatte. Die ganze Zeit in der Martelli mit seinem Team ermittelte, wusste er, das Gabler an der Tat beteiligt war. Und jetzt begriff er auch die Logik hinter allem. Die Vergewaltiger und der Mörder mussten sterben und er, der Beisteher, der Unschuldige, der Mitläufer, ihm hatte Martelli Gefängnis zugeteilt. Alles passte zusammen. Alles war feinsinnig ausgedacht und umgesetzt. Das war die Strafe, die Robert Martelli, alias Robert Wagedorn ihm zugemessen hatte.
Eine Weile starrte Gabler die Bücherwände an und überlegte. Dann schüttelte er den Kopf und lächelte.
„Es war deine Rache“, murmelte er: „Alle Achtung Robert, gut gemacht, wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet du den Fall deiner Schwester auf den Schreibtisch bekommen würdest. Aber nur du hättest das so genial planen können. Ich wusste immer schon, dass du er Intelligenteste von uns allen warst.“
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Martelli war also tot. Und damit konnte niemand mehr beweisen, dass er der Täter war. Der kleine Kassiber, ein schmaler Zettel, das war Hörensagen! Er hätte den Zettel auch selbst geschrieben haben können. Kein Richter würde darauf etwas geben. Bis in den Tod hinein hatte Robert Martelli ihm nicht verziehen. Der einzige Mensch der ihn hätte entlasten können war tot, hatte sich umgebracht, ohne etwas zu hinterlassen. Das also war die letzte Etappe im Plan des Robert Martelli.
Nachdenklich betrachtete er den kleinen Zettel für eine Weile. Dann knüllte er ihn bedächtig zu einem kleinen Kügelchen, und warf ihn in den Papierkorb gleich neben seinem kleinen Lesetisch. Langsam erhob sich Gabler. Er würde sich ein Buch ausleihen, Der Zauberberg . Er hatte es bereits drei Mal gelesen und immer wieder fand er Vergnügen an der kleinen Surrogatwelt, die Thomas Mann da beschrieben hatte. Wie seine eigen kleine Welt hier im Gefängnis, dachte er. Hier kannte er die Regeln, die jedem Außenstehenden absurd erscheinen mussten.
Draußen?
Draußen tobte der Krieg. Ein Krieg, dessen Regeln er nicht verstand, dessen Regeln er auch nicht kennenlernen wollte. Hier drin hatte er seinen Frieden, hier drinnen hatte er seinen Zauberberg gefunden und den würde er sich von niemandem streitig machen lassen.
Epilog
Samstag, 2. September 1995
Martelli grübelte. Es war gar nicht so einfach, seiner Frau beizubringen, dass er auch am Wochenende in Hamburg die Vernehmung eines Zeugen durchführen musste. Natürlich hätte sich das auch auf dem Dienstweg erledigen lassen, die Hamburger Kollegen hätten das sicherlich für ihn gemacht, aber ihm lag viel daran, einem der Täter gegenüber zu sitzen, ihm in die Augen sehen zu können. Und er wusste, dass Mario Micoliç einer der Täter war. Das DNA Material, das er sich bei Micoliçs Mutter besorgt hatte, bewies es.
Es war gar nicht so schwer gewesen. Seine Mutter, eine kräftig gebaute Frau mit leichtem Anflug von Damenbart,
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