...und plötzlich war alles ganz anders... (Kriminalromane) (German Edition)
vier konnte ein Interesse daran haben, den Fall Maria Wagedorn wieder auszugraben.
Doch dann fiel ihm ein! Maria Wagedorn hatte einen Bruder. Er hatte ihn nur ein Mal gesehen. Es war bei der Beerdigung seiner Mutter, da stand er an ihrem Grab, seine Hand in die der Sozialbetreuerin gelegt. Er hatte sich gewundert, dass der kleine Kerl nicht einmal geweint hatte. Vermutlich hatte er seine Mutter kaum gekannt, bei dem Lebenswandel den sie geführt hatte, wurde ihr der Sohn im ersten Jahr nach der Geburt vom Jugendamt weggenommen. Im Dorf hatte man gesagt, er sei kurz nach der Beerdigung seiner Mutter nach Australien oder Kanada zu seinem Vater gezogen. Genau wusste man das aber nicht und eigentlich interessierte es auch niemanden so richtig. Der Bruder, der könnte es sein! Der hätte ein Interesse daran haben können sich für den Tod seiner Schwester zu rächen. An seine Stimme konnte sich Manzo natürlich nicht erinnern, er hatte ihn nur einmal gehört, als er an der Hand der Sozialarbeiterin zerrte und greinte: „Ich will weg hier, bitte, bring mich hier weg!“ Aber das war eine Kinderstimme, heute müsste er ein Mann sein.
Manzo rechnete nach. Bei der Beerdigung war der kleine Knirps höchstens vierzehn, maximal sechzehn Jahre alt. Rechnete er die vierundzwanzig Jahre hinzu, so musste der Bruder achtunddreißig bis vierzig Jahre alt sein. Alt genug für Rache!
***
Eine unbestimmtes Gefühl in ihm sagte: „G e h nicht, bleib zuhause, es wird nicht gut für dich ausgehen.“ Aber er konnte dem Drang nicht widerstehen. Auch weil er sich Erleichterung erhoffte und die ganze Geschichte endgültig abschließen wollte.
Zwei Stunden vor dem Treffen fand sich Franco, ohne dass er es recht wollte, in seinem Wagen auf der gewundenen, engen Straße von Castelvetro nach Vignola. Er stellte das Auto am Busbahnhof ab und wanderte ziellos durch die fast lichtlosen Straßen der Stadt, ständig darauf achtend, ob ihm der geheimnisvolle Anrufer nicht folgte. Aber die Stadt war menschenleer, niemand hätte ihm unbemerkt folgen können.
Seine Hoffnung auf Erleichterung wäre der Panik gewichen, hätte er gewusst, dass sein Mörder schon seit einiger Zeit in dem breiten Zugang zum Burggraben saß, der in den Sommermonaten als Freilichtkino genutzt wurde. Von hier aus konnte er unbemerkt in die Arkade gelangen, die den Zugang zur Burg bedachte. Dort würde er warten, bis sein Opfer den Torbogen betrat. Auf eine Entfernung von fünf Metern hätte selbst ein ungeübter Schütze sein Ziel nicht verfehlt. Er jedoch war ein Experte, hatte das Schießen gelernt. Er würde sein Ziel gewiss nicht verfehlen.
***
Franco zitterte am ganzen Körper, als er sich eine Viertelstunde vor Mitternacht auf den Weg zu dem Treffen machte. Er wartete im Torbogen der Burg, aber nichts rührte sich. Außer dem Prasseln des Regens war nichts zu vernehmen. Doch dann schlug die Glocke der nahen Kirche Mitternacht. Laut..., fast schmerzhaft laut reflektierte der mächtige Bogen aus gebrannten Ziegeln den reine Cis-Ton. Dann..., zwei, drei Schritte, die im Rauschen des Regens fast untergingen. Nur den Schuss, den hörte er nicht mehr. Es war seltsam. Er spürte die Kugel wie sie in ihn eindrang. Es tat nicht weh, aber er fühlte wie er in rasendem Tempo schwächer wurde, wie die Beine ihren Dienst versagten, wie er zusammensackte und endlich am Boden aufschlug.
Das Letzte was er sah, war das tote Mädchen. Das Messer in der Brust lag sie im gleißenden Sonnenlicht der Lichtung und zwinkerte ihm zu.
***
Am nächsten Tag wäre die Unterzeichnung des Vertrages gewesen. Bei Dottore Salvioli , in der Via della Liberazione venticinque , dem in Vignola ansässigen Notar. Er war für solche Geschäfte der richtige Mann, so hatte man ihm gesagt. Aber ein Morgen gab es nun für Manzo nicht mehr. Er lag tot, lang ausgestreckt im Regen und seine Leiche wartete darauf, am nächsten Morgen gefunden zu werden. Von den Alten, die sich frühmorgens auf der Piazza versammelten, um ein Schwätzchen zu halten, so wie es seit Jahrhunderten der Brauch war. Den kommenden Morgen würde es eine Neuigkeit geben in der kleinen Stadt am Rande des Apennin und sie würde die Menschen dort für Wochen beschäftigen.
Kapitel 8
München 18. September 1995
„Pronto..., pronto...“ Martelli brüllte ins Telefon, aber am anderen Ende meldete sich nur die Stallwache.
„I signori sono a pranzo“, sagte der Mann, „e io sto andandoci: Die Herren sind zu Tisch und auch ich bin auf
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