...und plötzlich war alles ganz anders... (Kriminalromane) (German Edition)
Tat im Affekt versuchen alle Täter den Ort des Geschehens so schnell wie möglich zu verlassen! Warum gerade er nicht? Aber wie sie es auch drehte und wendete, ob eiskalt geplanter Mord oder Tötung im Affekt; als Täter kam nur Gerd Gabler in Frage, daran gab es nichts zu rütteln. Um ihrem Freund den versprochenen Gefallen zu tun, beschloss Sonja Sänger unvoreingenommen an die Sache heranzugehen.
Erster Grundsatz bei jeder Ermittlung ist; Cui bono , Wem nützt es.
Aber bereits bei dieser Überlegung kamen ihre Gedanken zu einem knirschenden Halt. Alle beiden Morde nützten tatsächlich nur Gabler. Er hatte als einziger einen Grund, die beiden zum Schweigen zu bringen. Seine berufliche und private Zukunft stand auf dem Spiel. Wenn entdeckt worden wäre, dass er damals beim Mord an Maria Wagedorn dabei gewesen ist, so hätte das zwar nicht zu einer Verurteilung, natürlich aber zu seiner sofortigen Entfernung aus dem Dienst geführt. Seine Ehe, die bereits am Rande des Abgrunds manövrierte, wäre dann in jedem Fall in die Brüche gegangen. Gabler hatte Kinder. Einen Mörder als Vater, zumindest jedoch als Vergewaltiger, das hätten sie nicht ertragen. Er hätte sich von beiden vermutlich distanzieren müssen. In kurzen Worten! Eine Aufklärung des Falles Maria Wagedorn hätte Gablers Leben von Grund auf zerstört. Nichts wäre geblieben wie es war und er stünde vor einer zerbrochenen Ehe, ohne Kinder und ohne Beruf da. Die Presse hätte sich auf den den Fall gestürzt, ihn nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet. Danach hätte er sicherlich keine Arbeit gefunden und kein Hund hätte mehr einen Knochen von ihm genommen. Dass er am Tod von Mario Micoliç nicht beteiligt sein konnte, dafür war sie selbst das beste Alibi. Am zweiten und dritten September musste sie Schiedsrichter spielen, es war der letzte Versuch die Ehe der Gablers zu kitten. Aber selbst der Tod Micoliçs nützte Gabler ungemein. Nachdem alle seine Mittäter tot waren, konnte ihm niemand mehr beweisen, dass er an der Tat vor vierundzwanzig Jahren beteiligt war. Wenn sein Plan aufgegangen und er unerkannt geblieben wäre, so hätte Martelli und sie niemals herausbekommen, was damals tatsächlich geschehen war. Es ergab einfach keinen Sinn, an der Schuld Gablers zu zweifeln. Und doch hatte sie so ein Gefühl, dass sie an seine Beteuerungen glauben ließ.
***
Schläfrig wanderte ihr Blick nach draußen in den verregneten Nachmittag. Es war erst vier Uhr, aber die dichten schwarzen Wolken verdunkelten den Himmel über dem Viereck des kleinen Innenhof des Polizeipräsidiums. Vor einer Stunde hatte sie schon das Licht auf ihrem Schreibtisch einschalten müssen. Es war zum Verzweifeln. Während sie hier saß und sich um den aussichtslosen Fall ihres Kollegen kümmerte, musste ihr Mann zuhause alleine essen. Sie sahen sich kaum noch. Er arbeitete als Architekt in einer kleinen Sozietät, mit Aussicht auf eine Teilhaberschaft, wenn sie die geforderten hunderttausend Mark zusammenbrächten.
Und vor einigen Wochen ist ihm dann diese verrückte Idee gekommen! Ein Kind wollte er. Jetzt schon, nachdem sie doch erst drei Jahre verheiratet waren. Nur sie konnte sich überhaupt nicht mit dieser Idee anfreunden. Ein Kind bedeutete Opfer, Verantwortung, Verzicht und Einschränkungen. Insbesondere müsste sie auf ihre Karriere verzichten. Wozu hätte sie denn studieren sollen, wenn sie dann doch nur zuhause sitzen dürfte, um auf das Kind aufzupassen? Dann käme ein zweites, vielleicht ein drittes und ihr Leben wäre vorbei. Nein, das mit dem Kind das geht nicht, dachte sie. Außerdem hatten sie sich doch geeinigt, bevor sie zum Standesamt geschritten sind.
Keine Kinder die ersten fünf Jahre!
Und nun quengelte er ständig und wollte ein Kind. Etwas das man lieb haben kann, sagte er! Als ob es nicht genug wäre, sie lieb zu haben. Und sie hätte sich schon gewünscht, dass er in der knappen Zeit, die sie miteinander verbrachten, etwas zärtlicher zu ihr wäre. Seit über einem Jahr hatte sie Überstunden abzufeiern, aber keine Gelegenheit es auch zu tun. Fast vier Wochen noch! Und jetzt saß sie hier und mühte sich freiwillig mit einem Fall ab, der so klar und durchsichtig war wie kein Fall den sie zuvor bearbeitet hatte. Aber gerade dieser Umstand ließ sie nachdenklich werden.
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Wind kam auf und der Regen prasselte gegen die altertümlichen Fensterscheiben, die schon vor Jahren hätten ausgewechselt werden müssen: „Münchner Wetter“, seufzte
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