...und plötzlich war alles ganz anders... (Kriminalromane) (German Edition)
leicht ihren Kopf. Ihre Augen röteten sich leicht. Es war, als ob sie sich erinnerte.
„Ja..., ich kannte sie gut. Sie hat manchmal für mich gearbeitet. Sie war ein fröhliches Mädchen. Als ich damals ein neues Hüftgelenk bekam, da hat sie mir geholfen. Nicht einmal Geld wollte sie dafür. Aber ich habe sie natürlich bezahlt!“
„Es ist schon merkwürdig“, sagte die Kommissarin leise: „In den Vernehmungsprotokollen liest man über das Mädchen, die Dorfhure soll sie gewesen sein. Aber sie war doch ein junger Mensch, mit Hoffnungen, Wünschen und Plänen.“
Die alte Frau nickte und lächelte.
„Sicher etwas luftig war sie schon. Zu luftig für meinen Geschmack. Aber das macht doch einen Menschen nicht aus. Wie oft habe ich ihr gesagt, sie soll weggehen. Nach München, Hamburg oder Berlin. Wenigstens in die Kreisstadt, weg von diesen Spießbürgern, die sie doch nur ausnutzten. Woanders hätte sie bessere Chancen, habe ich ihr gesagt. Aber sie wollte nicht! Sie wollte ihre Mutter nicht allein lassen. Wussten Sie übrigens, dass sie einen Halbbruder hatte?“
Die Kommissarin nickte.
„Ich hab ihn nur zwei Mal gesehen. Das erste Mal schlief er hier bei mir. Die Mutter hätte mit ihm das Wochenende verbringen sollen, aus irgendeinem Grund klappte das dann aber nicht.“
Die Dame schwieg für eine Weile, dann sagte sie leise: „Die Schwester brachte ihn damals, fragte ob er hier bei mir bleiben könnte. Sie müssen wissen, ich habe oben ein kleines Gästezimmer. Sie hätten sehen sollen, wie sich Maria um ihn gekümmert hat. Sie war kein schlechter Mensch.“
„Wissen Sie, was aus dem Bruder geworden ist?“, fragte die Kommissarin.
„Nein...! Soviel ich weiß, ist er gleich nach dem Tod seiner Mutter adoptiert worden. Ein Ehepaar Brockmann, Borkmann, Boogmann oder so ähnlich..., die haben ihn genommen. Die Frau konnte glaube ich keine Kinder bekommen. Aber so genau weiß ich das nicht mehr. Was aus ihm geworden ist?, das weiß ich wirklich nicht. Er war ein schüchterner kleiner Junge. Es war übrigens zur Beerdigung seiner Mutter, als ich ihn das zweite Mal sah. Armer kleiner Bub! Warum setzen die Menschen Kinder in die Welt, wenn sie dann nicht auf sie achtgeben können?“
Frau Griesbacher rieb sich die etwas feucht gewordenen Augen und lachte etwas gekünstelt: „Maria wollte eigentlich nur geliebt werden. Sie war leichtsinnig...“ In Gedanken blickte sie durchs kleine Wohnzimmerfenster nach draußen: „Ja..., leichtsinnig das war sie und gutgläubig. Sie glaubte jedem, der ihr ein paar schöne Worte sagte. Die Burschen im Dorf wussten das und damit hatten sie die Eintrittskarte. Sie war nicht schlecht oder verdorben..., nur leichtsinnig eben. Aber das waren wir doch alle als wir jung waren. Damals in der Kaiserzeit, da war das nicht anders als heute.“
Sonja Sänger rechnete nach. Frau Griesbacher kam 1903 zur Welt. Da hatte sie die Kaiserzeit tatsächlich noch bewusst erlebt. Eine merkwürdige Vorstellung!
„Hat Maria Wagedorn wenigstens ein Grab bekommen?“
„Ja..., sie liegt hier auf dem Dorffriedhof. Sie war eine der letzten, die dort beerdigt wurde. Bald nach ihrem Tod ist der Friedhof geschlossen worden. Ihre Mutter liegt dort schon nicht mehr, sie haben sie auf dem Stadtfriedhof in der Kreisstadt beerdigt. Pater Sebastian hatte sich geweigert, mehr als ein einfaches Holzkreuz auf Marias Grab stellen zu lassen. Dieser scheinheilige Pfaffe meinte damals ihr verderbter Lebenswandel stünde nicht dafür, wäre nicht gottgefällig gewesen. Dieser Pharisäer...! Was wusste der denn schon von Gott? Aber da niemand da war, der Einspruch einlegen konnte, blieb's bei dem Holzkreuz. Merkwürdig war nur, dass nach ungefähr zehn Jahren...“ Als müsse sie überlegen, legte die alte Dame den Finger auf den Mund. „Ja, zehn Jahre muss es her sein, da stand ganz plötzlich ein schöner Stein aus Granit auf dem Grab. Nicht zu groß, gerade recht für das kleine ausgelöschte Lebenslicht. Niemand wusste, wer das veranlasst hatte. Niemand wusste wer ihn bezahlt hatte.“
Die Dame wischte sich mit der Serviette eine Träne aus den Augenwinkeln: „Sie muss wohl doch noch jemanden auf der Welt gehabt haben, der sie lieb gehabt hat...“
Die Kommissarin dachte sofort an den verschollenen Bruder, aber das würde nun nicht mehr herauszufinden sein. Der Fall war praktisch abgeschlossen. Die Akte zu. Weber würde nicht damit einverstanden sein, dass weitere Ermittlungsarbeiten
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