Und plötzlich warst du wieder da
Nadia und verzog dabei verächtlich das Gesicht.
Er war froh, dass sie in diesem Augenblick woanders hinsah und ihm die Verblüffung deshalb nicht ansehen konnte. Hunderte von Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Das konnte alles kein Zufall sein! Genauso wenig wie die Tatsache, dass Kincaid das Apartment gegenüber gekauft und Nadia hierher verbannt hatte. All das konnte nur bedeuten, dass der alte Kincaid ihn, Lucas, die ganzen Jahre hindurch nicht aus den Augen gelassen hatte. Lucas konnte sich gut vorstellen, dass Everett Kincaid – genau wie er selbst – seine Kontrahenten und deren Eigenheiten gewissenhaft studiert hatte. Trotzdem ergab das Ganze irgendwie keinen Sinn.
„Und wieso Mardi Gras?“, fragte Lucas.
„Das weiß ich auch nicht. Daddy konnte den Chef von denen nicht ausstehen. Die beiden lagen schon lange im Clinch. Mardi Gras hat mit seinen Dumping-Preisen versucht, uns das Wasser abzugraben.“
Der Chef von Mardi Gras war in der Tat ein elender Halsabschneider. Das wusste Lucas nur zu gut, denn nicht zuletzt deswegen hatte er den Mann eingestellt. Eines stand jetzt jedenfalls fest. KCL zu übernehmen war für Lucas ein Kinderspiel. Er brauchte Nadia nur aus Dallas herauszulocken oder auf andere Weise dazu zu bewegen, eine der Erbschaftsbedingungen nicht zu erfüllen.
Trotzdem gefiel Lucas dieser Gedanke nicht. Das war nicht die Rache, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er hatte Everett mit seinen eigenen Waffen schlagen wollen, und wenn nicht ihn, dann zumindest das Unternehmen. Die Reederei auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, das war absolut nicht zufriedenstellend.
„Nadia, wach auf!“
Es war bereits der dritte Versuch, sie zu wecken.
Sie hörte Lucas’ vertraute tiefe Stimme. Aber anstatt die Augen aufzuschlagen, kuschelte Nadia sich noch enger an ihn, fest entschlossen, sich von nichts und niemandem aus dem wundervollen Traum reißen zu lassen, den sie gerade hatte. Sie träumte von Lucas. Sie hatten miteinander geschlafen. Es war
großartig gewesen. Aber warum musste er sie jetzt wecken?
„Wach auf, Nadia. Es ist gleich Mitternacht.“
„Mir egal“, murmelte sie. Sie wollte nicht, dass der Traum aufhörte und sie wieder allein war, wenn sie die Augen öffnete.
Jemand schüttelte sie an der Schulter, und das Kissen unter ihr bewegte sich. Widerstrebend wurde Nadia wach. Das merkwürdig lebendige Kissen unter ihrem Kopf war gar kein Kissen, sondern eine Schulter. Noch mit geschlossenen Augen streckte sie die Hand aus und fühlte warme Haut.
Oh Gott, wer ist es dieses Mal, dachte sie im ersten Moment erschrocken. Es war lange her, dass sie irgendeinen ahnungslosen Mann verführt hatte, um sich über den Verlust von Lucas hinwegzutrösten oder wenigstens für kurze Zeit ihr ganzes Unglück zu vergessen.
Lucas! Mit einem Schlag war sie wach und richtete sich auf. Er lebte ja noch, er wohnte nebenan. Im selben Augenblick wurde die Nachttischlampe angeknipst, und Nadia blinzelte gegen das viel zu grelle Licht. Dann sah sie ihren Ehemann neben dem Bett stehen und wie er sich gerade die Hose anzog.
„Beeil dich“, drängte er. „Du musst rüber in deine Wohnung. Es ist gleich zwölf.“
Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie musste um Mitternacht in der Wohnung sein. Fast hätte sie es wirklich vermasselt und sich und ihre Brüder um ein Vermögen gebracht. In heller Panik sprang Nadia aus dem Bett und sah sich ratlos um. „Wo sind meine Sachen? Wo habe ich sie hingelegt?“
„Dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Zieh das hier an.“ Er hielt ihr seinen Morgenmantel hin.
Nachdem sie hineingeschlüpft war, griff sie nach Lucas’ Handgelenk und sah auf seine Armbaduhr. Zwei Minuten vor zwölf. „Beinahe hätte ich alles zunichtegemacht. Ich glaube es einfach nicht. Vielen Dank, dass du mich geweckt hast.“ Anscheinend hatte ihr Vater doch recht gehabt, wenn er behauptet hatte, dass sie ohne einen Aufpasser nicht zurechtkam. Missmutig seufzte Nadia.
Lucas packte sie am Ellenbogen und zog sie so schnell mit sich fort, dass sie kaum hinterherkam. Im Flur sammelte sie im Vorübergehen ein paar ihrer Kleidungsstücke auf, aber Lucas ließ ihr kaum Zeit dazu. Er wirkte zornig, und Nadia konnte sich nicht erklären, warum.
Im Laufschritt ging es durchs Treppenhaus, und als sie die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, schlug ihre alte Standuhr zwölf.
„Uff!“, sagte sie, als sie eintrat, „das war knapp.“ Dann wandte sie sich zu Lucas. „Willst du noch
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