Und plotzlich ist es Gluck
der warmen Stille des Gartens. Die Grashalme kitzeln meine nackten Waden, und Blue hat wie zufällig die Pfote in meine Hand gelegt. Wir spielen das Wolkenspiel, das ich nur vom Hörensagen kenne, aber noch nie gespielt habe. John würde es nicht gefallen. Ich habe kein großes Talent dafür.
»Das ist ein Schneeball«, sage ich.
Red hat mehr Fantasie. »Sieh mal, da drüben ist ein Stachelschwein auf einem Trampolin.«
Ich kneife die Augen ein wenig zusammen. »Ah, ja«, sage ich nach einer Weile. »Ich sehe die Stacheln vibrieren, wenn es springt.«
Ich gebe mir Mühe, etwas abenteuerlustiger zu werden. »Das ist die Madonna vor Valentino Marzonis Haus.«
»Ja, ich weiß, was du meinst, aber die echte Madonna wirkt größer.«
Ich muss ihm Recht geben. Die Madonna in Valentino Marzonis Vorgarten sucht ihresgleichen.
»Ein feuerspeiender Drache.«
»Ein Wunschbrunnen.«
»Eine Sechs.«
»Nein, das ist eine Katze, die ihrem Schwanz nachjagt.«
»Blue.«
»Ja, Blue.«
»Danke übrigens, dass du ihn gefunden hast«, sage ich, ohne Red anzusehen, als mir wieder einfällt, was ich vorhin gesagt habe. Als ich die Kontrolle verloren habe.
»Schon gut. Wenn Al Pacino verschwinden würde, würde ich auch ausflippen. Haustiere sind wie Familienmitglieder. « Das, was ich ihm erzählt habe, erwähnt er nicht. Stattdessen führt er das Wolkenspiel fort. »Die da sieht aus wie ein Land, aber ich weiß nicht, welches.«
Ich betrachte die betreffende Wolke. »Bulgarien.«
»Was du alles weißt, Scarlett.«
»Ich habe bloß ein gutes Gedächtnis für Details, das ist alles«, winke ich ab. Normalerweise freue ich mich, wenn man mir ein Kompliment für meine geistigen Fähigkeiten macht. Heute nicht. Heute wäre es mir lieber, wenn er »Wie schön du bist, Scarlett« sagen würde.
Nein.
Noch lieber wäre mir, wenn er fragen würde: »Darf ich dich küssen, Scarlett?«
Wenn er mich das fragen würde, dann würde ich nicht nein sagen, wie ich es eigentlich tun sollte.
Ich würde sagen: »Yes. You. Can.«
46
Wir essen im Freien, an langen Tapeziertischen, über die Glynis frisch gestärkte weiße Leinentischdecken gebreitet hat. Sie deckt den Tisch mit dem Hochzeitsgeschirr, meiner Empfehlung von wegen Pappteller zum Trotz, und sie kocht uns ein paar der rosaroten Hochzeitsgerichte: Thunfischfilets, Rosé-Risotto und Erdbeer-Käsekuchen. Brendan zerlegt den Rinderbraten am Tisch mit einem der Messer aus seiner Messertasche, das aussieht wie eine Machete und das er zuvor theatralisch mit einem Schleifstein geschärft hat. Jeder lässt sich ein Stück Fleisch geben (alles andere würde Brendan als persönlichen Affront interpretieren), sogar ich. Allerdings verstecke ich es unter einem Salatblatt und schiebe es an den Rand, damit das Essen, das ich tatsächlich zu verzehren gedenke, nicht blutig wird.
Es herrscht eine Stimmung wie in einem Ferienlager. Hailey und Sofia haben am Nachmittag tatsächlich Hüte aufgetrieben, für jeden von uns einen. Eigentlich sind es Schirmmützen, mit dem knallorangefarbenen Schriftzug von Cassidy’s Pub auf der Vorderseite. Sie waren in einer Schublade unter dem Regal mit den Parfümflaschen. Die beiden bestehen darauf, dass wir die Mützen aufsetzen, und alle kommen ihrem Wunsch nach, selbst ich.
Mir fallen Kleinigkeiten an Red Butler auf. Er verdrückt fast gleich viel Fleisch wie Brendan, isst im Gegensatz zu Brendan aber auch Gemüse. Er tunkt die Soße auf seinem Teller mit Brotscheiben auf, die er sich dann zusammengefaltet,
aber in einem Stück, in den Mund steckt. Er verschüttet Getränke, lässt seine Gabel fallen, hebt sie auf und isst weiter, ohne auch nur einen Gedanken an die Bakterien zu verschwenden, mit denen sie verseucht sein könnte. Er redet nicht nur wie andere Leute mit dem Mund, sondern auch mit den Armen und Händen, mit dem ganzen Gesicht.
Er verfüttert die erlesensten Bratenstücke auf seinem Teller an Al Pacino, und nicht einmal Brendan, der weder Katzen noch Hunde besonders gern hat, kann sich dazu durchringen, ihn wegen dieser »leichtfertigen Verschwendung«, wie er es unter normalen Umständen nennen würde, zu tadeln.
Sofia hat dafür gesorgt, dass Hailey zu ihrer Rechten und Red zu ihrer Linken sitzt. Ich versuche, mir Red und Sofia als Paar vorzustellen. Ich versuche, mir auszumalen, dass die beiden Dinge, tun, die man als Paar tut. Kissenbezüge kaufen. Darüber streiten, wer den Geschirrspüler leert. Oder Händchen halten. Es ist
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