Und plotzlich ist es Gluck
gehört hat.
Doch er hebt den Kopf und sieht mich an. Er setzt mich auf dem Sideboard ab. Einer von Sofias Porzellanhunden wackelt, kippt über den Rand und zerschellt auf dem Boden. Wir bemerken es gar nicht.
»Hast du gerade gesagt, dass du mich liebst?«, fragt er, ohne den Blick von mir abzuwenden.
»Äh ja, habe ich«, sage ich, nach Luft und Fassung ringend.
»Oh«, sagt er, und ich habe keine Ahnung, was er denkt. Ich spüre, wie ich feuerrot anlaufe, und überlege krampfhaft, wie ich es ungeschehen machen kann, damit wieder alles so ist wie vorher. Bevor ich hingehen und alles ruinieren musste.
»Das freut mich zu hören.«
»Es freut dich?«
»Ja.« Er schenkt mir sein umwerfendes Lächeln.
»Ich glaube, ich liebe dich schon eine ganze Weile.« Er hebt mich vom Sideboard und küsst mich erneut. Das sanfte Kratzen seiner Bartstoppeln auf meinem Gesicht raubt mir schier den Atem. Er steigt über die Porzellanscherben und bringt mich zur Couch. Dann beginnt er, meine Bluse
aufzuknöpfen. Er lässt sich Zeit, und ich muss mir die Hände unter den Po schieben, damit ich nicht in Versuchung komme, ihm zu helfen.
»Warum hast du nie etwas gesagt?«, frage ich. Er hält inne, und ich verfluche mich für meine Neugier.
»Nun, ich … ich fand es ein bisschen frivol … Wegen Ellen und … allem anderen.«
»Es liegt doch nicht daran, dass du meine lädierte Vagina gesehen hast, oder?« Dieser Gedanke bereitet mir schon länger Kopfzerbrechen. Ich weiß, es klingt wie ein triviales Problem und es gibt so viele wichtigere. Aber trotzdem.
Er bebt unter meinen Händen. Er lacht, versucht aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Oder doch?«, hake ich nach. Ich muss es wissen.
»Lieber Himmel, nein. An deine lädierte Vagina habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gedacht. Ich wollte nur, dass es dir und Ellen gutgeht.«
»Lass uns ins Bett gehen«, sage ich, als hätte ich das schon hundertmal gesagt.
»Bist du sicher?«, fragt Red. »Was ist mit deiner Vagina? Ist sie …?«
»Noch lädiert?«
»Naja …« Er zögert. »Ich schätze, wenn es so ist, sollte ich Bescheid wissen.«
»Nein.«
»Nein, sie ist nicht mehr lädiert oder nein, ich sollte nicht Bescheid wissen?«
»Ersteres.«
»Okay«, sagt er. »Gut.«
Er nimmt meine Hand und führt mich hinauf in sein Zimmer. Ich steige über die kreuz und quer über den Boden verstreut liegenden Seiten einer alten Zeitung. Über Kleider, die vermutlich seit einer Woche genau da liegen,
wo er sie ausgezogen hat. Über Kleingeld, das ihm aus den Taschen gefallen ist.
»Küss mich noch einmal«, sage ich und ziehe ihn zu mir hinunter.
»Du gibst ganz gern den Ton an, wie?«
»Du hast ja keine Ahnung.«
Hinterher kuscheln wir uns aneinander wie zwei Mondsicheln. Es gibt unzählige Gründe, warum ich nicht schlafen können sollte. Die Helligkeit zum Beispiel. Der Mond scheint durch das Fenster herein, weil wir vergessen haben, die Vorhänge zuzuziehen.
Außerdem bestehen Blue und Al Pacino darauf, am Fußende von Reds Bett zu schlafen, obwohl unten in der Küche neben dem Radiator zwei kuschelige Körbchen für sie stehen. Ich bin es zwar gewohnt, dass Blue in meinem Bett schläft, aber ein Hund? Ich gehöre nicht zu den Menschen, die mit einem Hund im selben Zimmer schlafen, schon gar nicht im selben Bett. Und trotzdem bin ich kurz davor, einzunicken.
Nicht einmal das Plärren des Fernsehers unten kann mich daran hindern. Sofia und Hailey sind große Fans von Horrorfilmen, und durch die Wände und Türen dringt das gedämpfte Kreischen und Schreien von nichtsahnenden Teenagern, deren Autos oder Mopeds auf irgendwelchen verlassenen Landstraßen den Geist aufgegeben haben.
Und dann ist da noch der morgige Tag. Das Ergebnis des Vaterschaftstests und die Folgen für uns alle.
Aber weil es genau dieser Donnerstag ist und kein anderer, und weil sich dieser Donnerstag in so mannigfaltiger Weise von allen anderen Donnerstagen unterscheidet, geschieht etwas Seltsames. Ich schlummere ein, obwohl Red meine eine Hand hält und mir Al Pacino gelegentlich die andere leckt. Obwohl sich Blue quer über meinen Beinen
ausgestreckt hat. Und dann bin ich plötzlich weg, ohne es zu bemerken, ohne Schäfchen oder irgendwelche anderen Tiere zu zählen, und ich schlafe, wie normale Leute das nachts tun. Tief und fest und friedlich. Ich wache auch nicht um vier Uhr in der Früh auf. Ich schlafe durch bis zum Morgen.
60
Ein Jahr
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