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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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gefasst. Warum habe ich ihm nicht eine runtergehauen oder ihn zumindest geschubst und so dafür gesorgt, dass er über seine vernünftigen
braunen Schnürschuhe stolpert? Und auch später beim Packen war ich die Selbstbeherrschung in Person. Ich habe kein Geschirr auf den kalten Keramikfliesen in der Küche zerdeppert, habe weder sämtliche Wasserhähne aufgedreht noch den Inhalt der Biotonne über das Bettzeug gekippt noch die Batterien aus dem Rauchmelder genommen. Selbst sein Gemälde von Jack Yeats blieb unbehelligt. Ich habe sogar noch die Alarmanlage eingeschaltet, ehe ich ging. Jetzt könnte ich mich grün und blau ärgern über mein rationales Verhalten. Ich schäume vor Wut, weil das alles so ungerecht ist, und ich hasse John dafür, dass er mich in dieses irrationale Wesen verwandelt hat, das ich kaum wiedererkenne. Ich will ihn nie, nie wiedersehen, und zugleich möchte ich ihn unbedingt wiedersehen. Ich möchte ihm wehtun. Möchte den Rechenschieber, den ihm seine Mutter zum fünften Geburtstag geschenkt hat, kaputt machen, oder zumindest irgendwo verstecken. Er soll mich auf allen vieren um Vergebung betteln, mitten in der O’Connell Street.
    All diese Bilder vor meinem inneren Auge lassen keinen Raum für Gedanken an kleine Stäbchen mit rosaroten Pluszeichen und blauen Strichen und winzigen Smileys (der Test aus Kasachstan), die sich in den Außenbezirken meines Gehirns herumdrücken und nur am Wochenende einen kurzen Abstecher ins Zentrum machen dürfen. Noch etwas weiter draußen, im Outback, sind die Gedanken an den Mann in der Bar. Ich erinnere mich nicht einmal an seinen richtigen Namen, obwohl ich immerhin die Geistesgegenwart besaß, mich danach zu erkundigen.
    Ich stand an der Bar und versuchte, mir die Namen der Drinks in Erinnerung zu rufen, die ich bestellen wollte.
    »Alles klar?«, fragte jemand irgendwo über mir, mit einer Stimme, die nach Gin und Zigaretten klang. Manche Leute hätten sie zweifellos als sexy bezeichnet.

    »Ja, natürlich ist alles klar. Warum auch nicht?«, erwiderte ich gereizt.
    »Nein, ich meinte alles klar im Sinne von ›darf es noch etwas zu trinken sein‹? Ich bin nämlich Barkeeper, und ich arbeite zufällig in diesem Etablissement.«
    »Was?« Ich musste brüllen, um mir über die Musik hinweg Gehör zu verschaffen.
    »WILLST DU ETWAS ZU TRINKEN BESTELLEN?«
    »Oh«, sagte ich, tastete nach meinem Geldbeutel und hob den Blick. Der Barkeeper war ziemlich groß und befand sich auf der anderen Seite der Theke, wie sich das für einen ordentlichen Barkeeper gehört. Mein Blick wanderte immer weiter nach oben. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis ich sein Gesicht erreicht hatte.
    »Nochmal dasselbe?« Er deutete auf den Tisch, an dem Filly saß und auf mich wartete.
    Er benötigte dringend einen Haarschnitt. Sowohl die Stirnfransen als auch Koteletten und Nackenhaar waren gute fünf Zentimeter zu lang. Aber es war vor allem die Farbe, die meine Aufmerksamkeit erregte. Selbst im düsteren Licht des Clubs schien sein Haar rot zu glühen wie ein kitschiger Sonnenuntergang.
    »Deine Haare … «, stotterte ich, entsetzt über mein mangelndes Taktgefühl.
    »Ja, ich weiß. Grauenhaft, nicht?«
    »Wie heißt du?« Keine Ahnung, warum ich seinen Namen wissen wollte. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich nicht danach gefragt hätte.
    »Alle nennen mich Red«, sagte er und zuckte resigniert die Schultern, als wollte er sich für den mangelnden Einfallsreichtum seiner Bekannten entschuldigen.
    »Red«, wiederholte ich, um auszuprobieren, wie es sich anfühlte. »Und wie weiter?«

    »Butler. Red Butler«, erwiderte er und fügte sogleich hinzu: »Wegen der Haare. Es hat nichts mit dem Kerl aus Vom Winde Verweht zu tun. Der hieß nämlich gar nicht Red, sondern Rhett.«
    »Ja, ich weiß«, murmelte ich.
    »Oh. Das wissen nur die wenigsten.« Und dann grinste er. Ich erinnere mich an sein Grinsen, breit und ein wenig fragend. Ein Grinsen, bei dem man unwillkürlich den Drang verspürt, zurückzugrinsen. Und ich weiß noch genau, dass ich das Grinsen erwiderte, obwohl ich sonst nie grinse.
     
    Wann immer sich Red Butler in meinem Kopf in die Nähe des Zentrums stiehlt, vertreibe ich die Gedanken an ihn, indem ich besonders fiese französische Verben konjugiere. Mettre zum Beispiel, oder voulouir.
    Ich konzentriere mich auf die Marzonis, sammle sämtliche Informationen über Sofia, die ich finden kann. Viel ist es allerdings nicht. Im Gegensatz zu ihren

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