Und plotzlich ist es Gluck
gerade behauptet, der Schwarze Tod hätte auch seine guten Seiten.
Doch seine Antwort muss warten, denn soeben sind wie aus dem Nichts zwei hagere, runzlige Gestalten, womöglich sogar dieselben wie vorhin, an meinem Bett erschienen, und beginnen mich durch den Korridor zu schieben. Sie sagen kein Wort, schnauben nur heftig vor Anstrengung. Bryan läuft hinterher. Ich höre, wie er sein Handy aufklappt.
»In Krankenhäusern ist die Benutzung von Mobiltelefonen verboten«, rüge ich ihn. Er tut, als hätte er es nicht gehört. »Wen rufst du überhaupt an?«, will ich wissen und richte den Oberkörper auf, um einen Blick zu ihm zurückzuwerfen.
»Maureen und Declan«, sagt er.
»Wozu, um Himmels willen? «
»Sie sind deine Eltern. Sie sollten wissen, dass du hier bist. Nur für den Fall, dass … du weißt schon.«
»Was? Für den Fall, dass ich sterbe?«
»Nein, das nicht, aber … Komm schon, Scarlett. Du weißt, dass jemand sie informieren sollte.«
»Ja, normalerweise würde ich dir zustimmen, aber wir reden hier von Maureen und Declan.«
Bryan lässt sich meine Worte durch den Kopf gehen. Wahrscheinlich sieht er vor seinem geistigen Auge meine Eltern im Krankenhaus: Declan, der Autogramme gibt und ungefragt Hamlets Sein-oder-Nichtsein-Monolog rezitiert, Maureen, die sich die Haare rauft und heult wie eine Banshee, die einen bevorstehenden Tod in der Familie ankündigt, nur um gleich darauf allen, die es hören wollen, von dem Eingeweidebruch zu erzählen, mit dem sie einmal ins Spital eingeliefert wurde. Es hieß damals, sie hätte nur noch achtundvierzig Stunden zu leben. Doch zur Überraschung der Ärzte überlebte sie nicht nur, sondern schrieb in der Folge zusammen mit ihrem engen Freund und Mentor Cyril Sweeney sogar ein Theaterstück mit dem Titel An der Schwelle des Todes, das anschließend von ihrer Laienbühne zur Aufführung gebracht wurde. Maureen glänzte in der Hauptrolle.
»Also gut«, sagt Bryan und steckt sein Handy in die Hosentasche. »Aber wir zwei müssen uns trotzdem unterhalten. «
12
Dr. Goodman ist ein heiterer und ausgesprochen reizender Mensch, und er gehört unleugbar der Gruppe jener Menschen an, die stets guten Mutes sind. Alles an ihm ist rund, sogar die Ellbogen und die Nase, und er gluckst in einem fort vor sich hin, sogar jetzt, mit dem Kopf zwischen meinen Beinen. Ich höre ihn etwas sagen, kann ihn aber nicht verstehen.
»Verzeihung, was sagten Sie gerade? Ich … höre Sie so schlecht.«
Sein gerötetes Mondgesicht taucht unter der grünen Zellstoff-Einwegdecke auf, die man mir über die Knie gebreitet hat, und lächelt sein rundes Lächeln. »Ich habe nur gerade Ihren absolut makellosen Muttermund bewundert«, berichtet er etwas atemlos.
»Oh … äh … danke«, stottere ich.
»Also, die gute Nachricht lautet: Ihr makelloser Muttermund hat aufgehört, sich zu weiten.«
»Und wie lautet die schlechte?«, frage ich und halte die Luft an.
»Äh ja, darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen.« Dr. Goodman mag es nicht, wenn man ihn zur Eile antreibt. Er schält sich die Latexhandschuhe von den Händen, deponiert sie im Mülleimer, wäscht sich gute zwei Minuten lang die Hände und bearbeitet sie dann mit einem Papierhandtuch, bis sie so trocken sind wie die Sahara. Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass er sich so peinlich
genau an die Hygienevorschriften hält, trotzdem muss ich mir auf die Zunge beißen, um meine Frage nicht zu wiederholen. Endlich ist er fertig. Er zieht die Vorhänge rund um mein Bett auf. Bryan sitzt da, als hätte er sich nicht gerührt, seit Dr. Goodman vorhin die Vorhänge zugezogen hat. Der Arzt nickt ihm zu und sieht mit seinen runden braunen Augen auf mich hinunter.
»Scarlett …« Er zögert. Überlegt.
Ich komme zu dem Schluss, dass vielleicht doch etwas Ermunterung angebracht ist. »Ja?«
»Nun, es ist so …« Wieder überlegt er.
»Ja?« Das Warten wird zur Qual, wie damals, als wir bei Clare Colemans Hochzeit in der Kirche versammelt waren und vergeblich auf den Bräutigam gewartet haben.
»Wir glauben, dass Sie ursprünglich Zwillinge erwartet haben.«
»Zwillinge?«
»Ganz recht, Zwillinge. Zwei Babys.«
Er wartet ab. Da ich nichts erwidere, stellt er mir eine Frage. »Kommen Zwillinge in Ihrer Familie häufiger vor?«
»Ich war ein Zwilling«, flüstere ich.
Das habe ich bislang noch nie jemandem erzählt. »Meine Mutter hat mein Geschwisterchen verloren, als sie in der achten Woche war.« Bislang habe ich
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