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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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sonst. Das ist seine Art, mich zu unterstützen.
    »Danke, Blue«, flüstere ich, ehe ich aus dem Auto steige. Ich warte, bis er sich gestreckt hat, um zu demonstrieren, welch unbequeme Haltung er in seinem kleinen Transportkäfig einnehmen musste, dann hole ich meine Aktentasche, meine Handtasche und den Laptop aus dem Kofferraum. Ich halte die Leine in der rechten Hand und alles andere in der linken.
    Ich habe einen flüchtigen Gedanken. Das passiert mir hin und wieder, wenn ich noch weniger geschlafen habe als sonst. Bei flüchtigen Gedanken heißt es flink sein. Bei der leisesten Ablenkung sind sie dahin, wie das Ende eines Traums, an den man sich nach dem Aufwachen vergeblich zu erinnern versucht. Mein heutiger flüchtiger Gedanke lautet: Alles, was mir gehört, ist genau hier. Ich sehe mich um.
    Mein Auto. Mein wunderbarer, unpraktischer, rennwagengrüner Aston Martin, mit dem ich nie mehr als hundertzwanzig Stundenkilometer fahre, obwohl er zweihundertachtundachtzig schaffen würde.
    Mein Kater, Blue St John O’Hara. Maureen hat auf den zweiten Vornamen bestanden. Wäre ich ein Junge gewesen, hätte sie mich so genannt.
    Mein Laptop mit all meinen Listen und Plänen und Hochzeiten – mein Lebenswerk, im Grunde genommen.
    Und Ellen, die in meinem Bauch schläft. Obwohl mir Ellen natürlich nicht gehört. Aber sie gehört zu mir.
    Ich verlagere mein Gewicht, und der Gedanke verschwindet wie ein Regentropfen, der an einem einzelnen Grashalm zerplatzt.
    Mit meinen Habseligkeiten beladen steuere ich auf den Haupteingang des Bürogebäudes zu. Es besteht vornehmlich aus Glas, und die aufgehende Sonne ergießt sich darüber wie ein Getränk und blendet mich. Wenn ich eine Hand
freihätte, würde ich meine Augen abschirmen. Bedächtig erklimme ich die Treppe zum Eingang, mache immer zwei Schritte pro Stufe, wie ein Kind. Ich sehe ihn erst, als ich schon fast oben angekommen bin, und als es so weit ist, traue ich meinen Augen kaum. Ich blinzle ein paarmal wie jemand, der in der Wüste plötzlich vor einer Oase steht.
    »John?«, quieke ich atemlos, mit einer Stimme, die nicht mir gehört, und bleibe wie angewurzelt stehen.
    »Hallo, Scarlett. Ich wusste doch, dass ich dich hier finden würde«, sagt er und lächelt etwas selbstgefällig. Sein Lächeln ist breiter als in meiner Erinnerung, seine Zähne wirken weißer vor dem Hintergrund seiner knallroten Haut. Sein Sonnenbrand sieht nach Verbrennungen dritten Grades aus, und die Moskitos haben eine Mondlandschaft aus seinem Gesicht gemacht.
    »Was machst du hier?«, frage ich.
    »Komm, gib mir deine Taschen.« Mit zwei Schritten ist er bei mir und bückt sich, um Blue zu streicheln, der sich jedoch prompt umdreht, den Schwanz hebt und ihm seine gesprenkelte Rosette präsentiert. John nimmt es gelassen und greift nach meinen Taschen und meinem Laptop. Die Katzenleine überlässt er geflissentlich mir.
    »Du siehst gut aus, Scarlett«, stellt er fest, und mir entgeht nicht, dass er den Blick flüchtig über meinen Bauch gleiten lässt, doch Ellen ist unter dem Blazer meines Hosenanzugs nicht zu sehen.
    »Was machst du hier?«, wiederhole ich.
    »Morgen, Scarlett.« Wir wirbeln herum. Elliot hopst die Stufen empor. Er hat sich zwei Zeitungen unter den Arm geklemmt und trägt in der einen Hand einen Becher Kaffee und in der anderen eine Papiertüte, die, wie ich weiß, einen Apfel und einen Zimt-Muffin enthält. In der Armbeuge hängt sein Regenschirm. Er wird langsamer, als er erkennt,
wer neben mir steht. »Oh. Guten Morgen, John«, sagt er und mustert mich, als wollte er fragen, ob er John eins mit dem stabilen Mahagonigriff seines Regenschirms überziehen soll. Ich schüttle kaum merklich den Kopf.
    Als er uns erreicht hat, bleibt er stehen. »John! Was um Himmels willen ist mit deinem Gesicht passiert?«
    John hebt eine Hand und lässt sie über seine Streuselkuchenwange gleiten. Nicht nur sein Gesicht, auch der Hals ist mit Stichen in diversen Reifestadien übersät. Manche sind noch ganz frisch, rot und eitrig, andere – Filly nennt sie später die Veteranen – sind von einer Kruste bedeckt. Ich kann nicht genau sagen, welche schmerzhafter aussehen. Dafür wird mir urplötzlich klar, dass ich mich gleich übergeben werde, hier, auf der neunten Stufe vor dem Haupteingang meiner Firma, an dem Tag, an dem ich ein Bewerbungsgespräch mit Simon und dem Rest des Vorstands habe. Die Zeitspanne zwischen der Erkenntnis, dass man sich übergeben wird, und dem Übergeben

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