Und plotzlich ist es Gluck
selbst ist kurz. Man hat ungefähr eine Zehntelsekunde, um sich zu überlegen, wohin man sein Frühstück deponiert. Ich reiße John meine Aktentasche aus der Hand, öffne sie und übergebe mich in sie. Als es vorbei ist, lasse ich die Tasche sinken, ziehe den Reißverschluss zu und sehe von Elliot zu John, die krampfhaft versuchen, sich ihre Fassungslosigkeit und ihren Ekel nicht anmerken zu lassen.
Elliot reicht mir eines seiner überdimensionalen Taschentücher. Es ist in einer Ecke mit seinen Initialen versehen: EFCF. John weicht diskret einen Schritt zurück.
Ich wische mir die Mundwinkel ab und komme mir eindeutig unterlegen vor, wie ich so mit meiner Aktentasche voller Erbrochenem in der Hand dastehe. Es ist schwierig, in einer derartigen Situation souverän zu wirken.
Ich reiche Elliot das Taschentuch. »Äh, danke, Elliot.«
»Nein, nein, behalt es«, wehrt er ab, ohne es zu berühren.
»Du bekommst es zurück«, sage ich. »Gewaschen, meine ich. «
»Das darf man leider nur chemisch reinigen«, sagt er.
John hat sich als Erster wieder gefasst. »Könnte ich dich kurz sprechen, Scarlett? Unter vier Augen, meine ich.« Er lächelt Elliot an, um anzudeuten, dass es nicht persönlich gemeint ist, und Elliot lächelt zurück, um ihm zu zeigen, dass er es ihm nicht übelnimmt.
»Selbstverständlich«, sage ich, da wir alle so höflich miteinander umgehen. »Elliot, könntest du …?« Ich strecke ihm die Hand mit der Aktentasche hin und muss ihm zugutehalten, dass er nur einen winzigen Augenblick zögert, ehe er sie entgegennimmt. Dann lädt er sich meine Handtasche und meinen Laptop auf die Arme, befiehlt Blue, bei Fuß zu gehen wie ein Hund und schafft es, das Gebäude zu betreten, ohne seinen Kaffee zu verschütten oder seinen Muffin fallen zu lassen.
»Sollen wir ins Rose’s gehen?«, fragt John.
Ich schüttle den Kopf. Ins Rose’s sind wir immer gegangen, wenn mich John im Büro besucht hat, was nicht allzu oft vorgekommen ist. Es ist eines dieser Cafés mit Chintz-Vorhängen und Tischdecken mit Rosenaufdruck, in denen der Tee in feinen Porzellantassen mit Untertassen serviert wird, zusammen mit Scones und Dickrahm und hausgemachter Konfitüre. Es ist ein Ort, an dem man positive Unternehmungen plant, etwa das Anlegen eines Kräutergartens oder das Ausmisten des Dachbodens. Ich habe keine Ahnung, was für eine Art der Unterhaltung mir bevorsteht, aber ich will sie nicht im Rose’s führen.
»Lass uns spazieren gehen«, schlage ich vor und gehe voran. Ich sehe auf die Uhr. Laut meinem Zeitplan müsste
ich jetzt im Sitzungssaal des Vorstands meinen Laptop aufbauen und noch einmal meine PowerPoint-Präsentation auf Fehler durchsehen, obwohl ich genau weiß, dass sie makellos ist. Stattdessen gehe ich mit meinem von Moskitos zerfleischten, sonnenverbrannten Ex-Freund, der möglicherweise der Vater meines ungeborenen Kindes ist, die Dame Street entlang, dabei sollte er in dieser Sekunde eine Kelle schwingen und den roten Lehmboden eines fünfundsiebzig Kilometer von Sao Paolo entfernten Kaffs umgraben. Ich beschließe, nichts zu sagen, ehe John den Mund aufgemacht hat. Ich konzentriere mich auf meine Umgebung und stelle verblüfft fest, dass es Sommer geworden ist. Ich habe die Zeit so lange in Wochen gemessen, dass mir der Wechsel der Jahreszeiten gar nicht aufgefallen ist. In der Dame Street prangen bunte Blumen in Fenstertrögen und Hängekörben, übermütige Schwalben segeln pfeilschnell über den hellen Dubliner Morgenhimmel. Wir sind schon fast an der Christ Church Cathedral, und noch immer hat keiner von uns ein Wort gesagt. Irgendwo bimmelt eine Kirchenglocke, und Ellen bewegt sich in mir. Vermutlich fragt sie sich, was aus ihren Coco-Pops geworden ist, die nun aufgeweicht in einer braunen Schokoladensuppe auf dem Boden meiner Aktentasche schwimmen.
»Du hast nicht zufällig eine Banane dabei?«, frage ich.
»Doch, habe ich«, erwidert er und zieht eine aus der Innentasche seiner Jacke.
Es gibt sonst niemanden auf der Welt, den ich morgens um – ich sehe auf die Uhr – acht Minuten vor sieben um eine Banane bitten könnte. John hat, was ich brauche. Er hatte es immer. Genau das habe ich an ihm geliebt. Genau das fehlt mir. Ich lasse mich auf einer Bank im Kirchhof nieder. John nimmt neben mir Platz. Ich schäle die Banane
und mache mich darüber her. In meinem Bauch schlägt Ellen vor Begeisterung Purzelbäume. Sie liebt Bananen.
»Warum bist du hier?«, frage ich schließlich, mit
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