Und Rache sollst du nehmen - Thriller
das erste Rennen fand um 14.00 Uhr in Sandown statt, Billy würde also um 13.30 Uhr wieder im Wettbüro sein. Ihm blieben fast eineinhalb Stunden, um seinen Magen zu füllen und seine Manieren zur Schau zu stellen.
Ich vertrieb mir die Wartezeit mit einem Spaziergang, denn ich hatte keine große Lust, ihm nochmal beim Essen zuzuschauen. Ohne Ziel herumzulaufen ist eine merkwürdige Erfahrung, besonders, wenn man dabei unbemerkt bleiben will. Man darf nicht ziellos wirken, man muss eine bestimmte Richtung verfolgen. Also sucht man sich irgendeinen Punkt aus und geht darauf zu, nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell. Dabei nimmt man mit niemandem Blickkontakt auf und hält sich möglichst lässig in den Schatten. Man spaziert, als würde man ein Liedchen pfeifen, ohne tatsächlich zu pfeifen.
Als ich weit genug gekommen war, warf ich einen Blick auf die Uhr und schaute mich um, als hätte ich
mich verlaufen und wüsste nicht wohin. Keine Ahnung, ob überhaupt jemand auf mich achtete. Dann sah ich abermals auf die Uhr, blies die Backen auf und kehrte um.
Zurück zu Billys Laden.
Es war zehn nach zwei, das erste Rennen war gelaufen, im Wettbüro sollte mittlerweile ein bisschen was los sein. Je mehr Kunden, desto besser meine Deckung.
Eine Sorge blieb jedoch, eine Sorge, die ich nicht ausräumen konnte, ohne reinzugehen. Friss oder stirb.
Überwachungskameras. Das Damoklesschwert, das über meinem gesamten Leben hing. Über meinem neuen Leben, um genau zu sein.
Ich hatte lange darüber nachgedacht, über das Pro und Contra. Es gab kein Pro. Man könnte sagen, dass ich schlaflose Nächte darüber verbracht hatte, aber ich fand sowieso kaum noch Schlaf. Trotzdem, der Gedanke an die Kameras jagte mir zweifellos Angst ein. Kameras waren immer schlecht. Die Frage war nur, wie groß die Schwierigkeiten waren, in die ich im Fall des Falles geraten würde.
Mein einziger Schutz war die Baseballkappe auf meinem Kopf. Immerhin etwas, aber nicht gerade die perfekte Tarnung. Eine Aufnahme von mir in Billys Laden, und schon konnte man die Verbindung ziehen. Das war nicht zu verhindern. Klar, es würde noch eine Weile dauern, bis Billy etwas zustieß, irgendwer müsste also eine ganze Menge Filmmaterial durchgehen. Aber es ließ sich nicht ausschließen.
Vielleicht bewahrte Billy die Aufnahmen nur ein oder
zwei Tage auf. Vielleicht hatte er Kameras, legte aber keine Filme ein. Vielleicht hatte er auch gar keine. So oder so, »vielleicht« gefiel mir nicht. Ich musste sicher sein. In manchen Dingen darf man sich nicht auf den Zufall verlassen.
Was wusste ich über Billy? Er hatte Geld, aber nicht in rauen Mengen. Sein Haus war ziemlich, aber nicht übermäßig wertvoll – eine Doppelhaushälfte, eine halbe Sache. Ich hatte seine Schuhe bemerkt: hundert Pfund das Paar, aber mit abgelaufenen Fersen. Zu Mittag aß er Lasagne mit Pommes, und seine Uhr war entweder fünfhundert Mäuse oder einen Zehner wert, je nachdem, ob echt oder gefälscht. Er hatte einen Zwei-Pfund-Haarschnitt auf dem Kopf und zwei Zwanzig-Riesen-Autos in der Garage. Zur Bank ging er zu Fuß. Mrs Nikotinhaut mit dem überstrapazierten Haar stolzierte zweimal die Woche mit einer ihrer zahlreichen Louis-Vuitton-Handtaschen zum Bingoabend.
Ich setzte also darauf, dass Billy keine Kameras hatte. Es war eine Wette mit hohem Risiko, höher als alles, was jemals in Hutchison’s Independent Bookmakers gespielt worden war. Wahrscheinlich wollte er kein Geld dafür ausgeben, dachte ich. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass alles, was in seinem Laden geschah, aufgezeichnet wurde. Wahrscheinlich besaß er höchstens eine Attrappe.
»Wahrscheinlich« hieß »hoffentlich«. »Hoffentlich« hieß: Ich betete darum. Nur betete ich nicht mehr zu Gott.
Schließlich hatte ich meinen Spaziergang beendet und stand vor dem Wettbüro. Ich zögerte nicht, obwohl ich
gerne gezögert hätte. Stattdessen atmete ich tief ein und trat einen Schritt auf die Tür mit der Milchglasscheibe zu. Bitte, keine Kameras. Keine Kameras. Keine Kameras. Bitte mach, dass er keine Kameras hat.
Ich drückte die Tür auf und ging hinein. Mir war klar: Das Schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war, mich nach dem umzuschauen, was ich mir in meinen schlimmsten Träumen vorgestellt hatte. Wenn ich den kleinen Laden nach Kameras durchforstete, konnte ich mich auch gleich per Handzeichen melden.
An der gegenüberliegenden Wand waren Zeitungen aufgehängt. Ich suchte schnell davor Deckung, um mich
Weitere Kostenlose Bücher