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Und Rache sollst du nehmen - Thriller

Und Rache sollst du nehmen - Thriller

Titel: Und Rache sollst du nehmen - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Robertson
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Ogilvie. Ihr Blick war starr auf ein bestimmtes Bild gerichtet. Die grellen Schlagzeilen schrien ihr ins Gesicht, und die Worte, die vielen Worte. Alles lag da, direkt vor ihren Augen.
    Vor ihr stand weder Tee noch Kaffee, der Wasserkocher lief nicht. Da war nur sie, der Tisch, die Zeitung und das Foto von Wallace Ogilvie.
    Ich zog mir einen Stuhl heran. Ich ließ ihn absichtlich über den Boden schleifen, damit er etwas Lärm machte, ehe ich mich setzte. Sie regte sich nicht. Ihre roten, feuchten Augen blieben weiter auf das Papier geheftet.
    Mein Atem kam in abgehackten Stößen, ich konnte meinen Herzschlag hören. Ich schaute von ihr zur Zeitung und wieder zurück. Wenn sie doch nur aufblicken und etwas sagen würde. Doch das tat sie nicht.
    Ich folgte ihren Augen: Sie las den Text, Wort für Wort, und sicherlich nicht zum ersten Mal. Nach ein paar Absätzen huschte ihr Blick zu dem Foto von Wallace Ogilvie, verweilte dort für einige Sekunden und glitt wieder zurück. Ein paar Absätze, das Foto, ein paar Absätze, das Foto, ein paar Absätze, das Foto.
    Bald würde sie das Ende von Imries Artikel erreicht haben. Dann, hoffte ich, würde sie endlich damit aufhören und mich ansehen, mit mir sprechen. Mir zeigen, was ihr die Sache bedeutete. Fast hätte ich etwas gesagt, als sie bei den letzten Zeilen angelangt war, ich war bereit, zu fragen oder selbst zu antworten. Aber ihre Augen schnellten sofort zurück zum Anfang des Textes, und es ging von vorne los.
    Ein paar Absätze, das Foto, ein paar Absätze, das Foto,
ein paar Absätze, das Foto. Ich beobachtete, wie sie alles nochmal durchmachte, und musste ein nervöses Stöhnen unterdrücken. Ihre Augen flackerten vor Anstrengung, ab und zu entwischte eine Träne und rann ihre Wange hinunter.
    Ein paar Absätze, das Foto, ein paar Absätze, das Foto, ein paar Absätze, das Foto, bis sie wieder kurz vorm Ende war.
    Diesmal hob sie plötzlich den Kopf und sah mich durch den Tränenvorhang an. Eine Ewigkeit lang blickte sie mir hilflos in die Augen und versuchte, etwas zu sagen. Sie musste sichtlich darum kämpfen.
    »Ich bin froh«, sagte sie schließlich.
    Mehr nicht. Keine weitere Erklärung. Aber vielleicht brauchte es auch keine.
    Sie blickte mich weiter an, und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war mir sicher, sie wollte nicht, dass ich zu ihr ging und sie in den Arm nahm. Ein Teil von mir wollte genau das tun. Und ein ganz kleiner Teil von mir wollte ihr alles erzählen. Diesem Teil befahl ich, still zu sein.
    »Ich bin froh«, wiederholte sie. Ihre Stimme klang ganz normal. Deshalb fiel es mir nicht leicht, all das in diese drei Worte hineinzudeuten, was ich gerne hineingedeutet hätte. Außerdem hörte sie sich müde an, noch müder als sonst.
    Sie musterte mich – und für einen kurzen Moment fragte ich mich, ob sie Bescheid wusste. Oder zumindest eine Ahnung hatte. Aber das konnte sie gar nicht.
    »Ich bin froh, dass der Bastard tot ist«, flüsterte sie. So
zu fluchen war nicht ihre Art. Selbst damals, als es passiert war, hatte sie nicht geflucht. Sie brüllte herum, sie heulte pausenlos, ungefähr eineinhalb Jahre lang weinte sie den ganzen Tag und die ganze Nacht. Dann kamen die Tabletten, das Heulen verstummte, sie schlief nachts wieder. Nach eineinhalb Jahren ununterbrochener Trauer gab sie auf und trat die Verantwortung für ihren Gemütszustand und ihre Schlafgewohnheiten an die Chemie ab. Achtzehn Monate, nachdem ich mein Kind verloren hatte, verlor ich auch meine Frau.
    Ich erwiderte ihren Blick, ohne etwas zu sagen. Um ihr Zeit zu geben, sich weiter zu äußern, sich zu öffnen, wenn sie wollte. Vielleicht würde sie den einen Satz aussprechen, den ich mehr als alles andere von ihr hören wollte. Ihr Mund öffnete und schloss sich ein paarmal, stumme Tränen flossen ihr übers Gesicht und brannten auf ihren Lippen.
    Währenddessen versuchte ich, mir ins Gedächtnis zu rufen, wann ich sie das letzte Mal geküsst hatte. Ihr Geburtstag war im Juli, also wahrscheinlich dann. Aber wie lang war es her, dass ich sie richtig, aufrichtig geküsst hatte? Hatte ich sie nach Sarahs Tod geküsst? So sehr ich mich bemühte, ich konnte mich nicht daran erinnern. Damals hatte ich sie festgehalten, lange, sehr lange, ganz fest und ganz nah bei mir, aber ich wusste nicht, ob ich sie auf die Lippen geküsst hatte, wie Mann und Frau sich küssen sollten.
    Wieder öffnete sich ihr Mund, die Worte lagen ihr auf der Zunge. Doch sie blieben

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