Und Rache sollst du nehmen - Thriller
unausgesprochen, wurden zurückgewürgt und unzerkaut runtergeschluckt. Dann
ließ ihr Blick den meinen los und sank auf den Tisch. Sie starrte auf die Schlangenlinien im Kiefernholz, auf die feine Maserung der Tischplatte, bis sie wieder ein paar Sätze gefunden hatte, die sie preisgeben konnte.
»Ich bin verdammt froh, dass der Bastard tot ist. Ich bin verdammt froh, dass er niemandem mehr wehtun kann.«
Sie zögerte gerade so lange, dass mein Herz aussetzen und ich mir eine Frage stellen konnte.
»Ich bin froh, dass irgendwer die Eier hatte, ihn zu töten. «
Sie ließ den Satz zwischen uns in der Luft hängen, wie einen Ball, der nur darauf wartete, zurückgeschlagen zu werden. Ihre Augen fixierten ein Astloch in der Tischplatte, sie fuhren jede Kurve des Wirbels nach, nur damit sie nicht aufblicken und mir ins Gesicht schauen mussten.
Dann wiederholte sie es, langsamer diesmal.
»Ich bin froh … dass irgendwer … die Eier hatte … ihn zu töten.«
Mein Herz hämmerte so laut, dass meine Ohren davon taub wurden. Meine Haut erkaltete. Ich war mir jedes einzelnen Körperteils unmittelbar bewusst.
»Ich bin … froh … dass irgendwer … die Eier … hatte … ihn … zu töten.«
Ich drückte mich von meinem Stuhl hoch, bis ich unsicher auf den Beinen stand. Zwei schnelle Schritte später war ich bei ihr und ließ mich auf ein Knie sinken, damit ich ihr um den Hals fallen, die Arme um sie schlingen und den Kopf in ihrem Nacken vergraben
konnte. Ich hatte niemals zu hoffen gewagt, dass sie es verstehen würde, ich hatte mich so sehr vor dem Moment gefürchtet, in dem sie davon erfuhr oder hinter meine Machenschaften kam – und dabei hatte sie von Anfang an dasselbe gewollt wie ich! Alles war gut, viel besser, als ich es mir hätte träumen lassen. Ich hielt sie fest, sog ihren Duft ein und küsste ihr Haar. Mein Herz platzte beinahe, ich hatte ihr so viel zu erzählen, vieles würde ich ihr ersparen, aber vieles wollte ich auch mit ihr teilen. Ich drückte sie, fast wollte ich in ihre Haut schlüpfen und ein Teil von ihr werden.
»Lass … mich … los.«
Ich verstand nicht. Ich hielt sie weiter fest.
»Lass mich los«, befahl sie.
Ich ließ sie los, völlig verwirrt. Sie sah mich an.
»Glaub ja nicht, du musst mich nur in den Arm nehmen, und alles ist wieder gut«, sagte sie. »Dafür ist es zu spät, viel zu spät. Jetzt kann ich keine Entschuldigungen mehr brauchen.«
Ich verstand noch immer nicht. Ihre rot geäderten Augen funkelten mich wütend an.
»Du hättest es tun sollen. Du hättest es nicht irgendwem anders überlassen sollen. Das kannst du jetzt nicht mehr gutmachen.« Sie stockte. »Und ich sitze hier und freue mich darüber, dass ein Mensch gestorben ist! Mein Gott, ich freue mich darüber, dass irgendein … irgendein Psychofreak vier Menschen getötet hat! Kannst du dir vorstellen, wie es mir damit geht? Ich ekle mich vor mir selbst.« Wieder stockte sie. »Das ist deine Schuld. Wegen dir fühle ich mich so, ganz allein wegen dir. Hoffentlich
bist du stolz drauf. Wenn du ein Mann gewesen wärst, wäre es niemals so weit gekommen.«
Ich taumelte erschrocken zurück. Sie versteht mich, hatte ich gedacht, sie weiß Bescheid, aber jetzt, angesichts ihrer Wut, wollte ich nur noch brüllen. Nein, das war alles ganz anders! Kein Psycho, kein Freak! Sondern ich. Ich hatte das alles getan, ich!
Doch dann sah ich ihre Augen, sah, wie sehr sie sich in diesem Augenblick selbst hasste. Sie war wütend auf mich, aber auf sich selbst war sie noch viel wütender. Den halben Tag über hatte sie hier gesessen und einen Mord bejubelt – doch damit hatte sie nicht nur diesen einen Mord gefeiert, sondern vier, den Tod von vier Menschen, die ein Serienmörder umgebracht hatte, wie sie glauben musste. Ja, sie hatte Recht. Das hatte ich ihr angetan.
Ich versuchte, etwas zu sagen, und begriff erst in diesem Moment, dass ich noch kein Wort gesprochen hatte, seit ich heimgekommen war. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Wenn sie uns beide schon aus den falschen Gründen verabscheute, wie sehr würde sie sich erst ekeln, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Es würde sie umbringen.
»Du hast nichts getan«, spuckte sie mir ins Gesicht, »gar nichts. Ich hab wenigstens etwas dagegen unternommen, dass solche Bastarde besoffen Auto fahren. Ich hab wenigstens versucht, einen Unterschied zu machen, damit die Gesetze geändert werden und Typen wie Ogilvie von der Straße verschwinden. Und was hast du getan?
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