Und Rache sollst du nehmen - Thriller
Die Arme leidet sichtlich unter den tausend Todsünden, die sie ertragen muss, ihre Lippen sind schmal wie ein Strich. Eine tolle Gesellschaft.
Wie geplant nuckelte ich eine volle Stunde lang an meinem Pint Shandy. Die Tür des Budda ließ ich höchstens
für ein paar Sekunden aus den Augen, ob ich sie nun direkt beobachtete oder ihre Spiegelung im Neonlicht des Fensters zur Holland Street hin. Die Gäste strömten nur so herein, aber weder Raedale noch eine ihrer Kolleginnen kamen heraus. Da war es, mein Zeitfenster, und das Mittel meiner Wahl stand zu Raedales Füßen oder wurde vor ihre furchterregende Brust gepresst.
Die Stunde verflog. Ich trank den letzten Schluck Bier und verließ das Wetherspoons, überquerte die Straße und betrat das Budda. Der Laden war wunschgemäß überfüllt, so dass ich ein Minütchen brauchte, um die Tesco-Bande ausfindig zu machen. Sie saß um einen langen Tisch gedrängt, unter einer Art hölzernen Pagode in der Ecke hinten rechts.
Es war dunkel, es war voll, es war perfekt.
Ich orderte das nächste Shandy und bezog so nah wie möglich Stellung, ohne direkt in ihr Blickfeld zu geraten.
Es war die typische Feierabendrunde: laut, fröhlich, besoffen, glücklich. Mit einer einzigen Ausnahme. Die fette Fiona hockte eiskalt dazwischen und blickte derart missbilligend in die Runde, dass einem das Blut in den Adern gefrieren konnte. Zweifellos war sie nur mitgekommen, damit die anderen nicht hinter ihrem Rücken über sie redeten. Aus Spaß an der Freude sicher nicht.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie ihre weiße Handtasche vor der Nase ihrer Kolleginnen schwenkte, um ihnen irgendetwas zu signalisieren. Offenbar musste sie mal wohin.
Ich schaute interessiert zu, wie sie sich zwischen den
grau und violett gepolsterten Stühlen hindurchzwängte, um sich schließlich wenig elegant durch die Lücke zu quetschen, die eine kleine Blonde links und ein sehr junges Mädchen rechts, wahrscheinlich eine Schülerin, für sie bildeten. Dafür fingen sich die beiden ein wütendes Starren ein, als ob sie die Schuld an dem Platzmangel trügen, und nicht Raedales eigene überbordende Leibesfülle. Als sie das letzte enge Stückchen zwischen Stuhl und Tisch hinter sich gebracht hatte, stützte sie sich mit der halbgeöffneten Handtasche auf der Tischplatte ab, um ihre schwankende Masse zu stabilisieren. Volltreffer, dachte ich mir. Elfmeter. Der Kasten war offen wie ein Scheunentor.
Raedale war erst einen Schritt von der Kolleginnenrunde Richtung Bar getapst, als ich sie anrempelte und ihr die Tasche aus der Hand schlug. Sie taumelte zurück auf den Schoß der Schülerin, die dabei ziemlich überrascht wirkte. Sofort fing ich an, mit möglichst verwaschener Stimme um Verzeihung zu bitten. Die Supermarktmädels kicherten verhalten in sich hinein, Raedale schäumte vor Wut.
Ich kniete mich auf den Boden und häufte Entschuldigung auf Entschuldigung, während ich Stück für Stück einsammelte, was aus der Handtasche der fetten Fiona gekullert war. Kaum hatte ich es in Windeseile wieder reingestopft, riss sie mir auch schon ihr Eigentum aus der Hand. Durch die peinliche Situation trat ihre reizende Natur umso deutlicher hervor. »Vollidiot«, keuchte sie und überprüfte, ob ihr Portemonnaie noch am rechten Platz war. Sie ließ ihrer selbstgerechten Entrüstung
freien Lauf, sie zeigte die Haare auf ihren Zähnen. Fluchend stürmte Raedale an mir vorbei und weiter zu den Toiletten.
Mit dem Rücken zur Tesco-Bande stand ich auf und zuckte zerknirscht mit den Schultern, was sie allerdings schon nicht mehr mitbekam. Dann schlurfte ich aus dem Pub und raus auf die Sauchiehall Street.
Das war’s. Erledigt. Ich konnte gehen.
Und warten, gespannt abwarten.
Irgendwann musste es geschehen – außer ihr fiel auf, dass ich ihren Nikotininhalator durch einen augenscheinlich identischen Inhalator ersetzt hatte, was mir aber eher unwahrscheinlich erschien. Also fragte sich nur, wann und wo es geschehen würde.
Ich marschierte bis zur nächsten Ecke und bog links in die Dalhousie Street ein, dann rechts in die Hill Street, die ich überquerte, um auf der schattigen Seite weiterzulaufen. Bis ich die Rose Street erreicht hatte, blieb ich nicht stehen. Dort, wo ich in einem Umkreis von zwanzig Metern relativ sicher sein sollte, zog ich mich um.
Die Jacke drehte ich auf links, so dass aus schwarz grün würde. Die Baseballkappe, die ich beim Betreten des Budda aufgesetzt und tief in die Stirn gezogen hatte,
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