Und Sei Getreu Bis in Den Tod: Mitchell& Markbys Letzter Fall
Ereignisse vom Samstag Vorrang. Um die erforderliche Genauigkeit sicherzustellen, öffnete sie ihr Notizbuch, in welchem sie genaue Aufzeichnungen über all ihre Handlungen, Gedanken und Argumentationsketten am Samstag protokolliert hatte. Jetzt runzelte sie die Stirn, als sie die Notiz über die halb zerstörte Reifenspur las. Sergeant Ginny Holding, welche mit der Aufgabe betraut worden war, den Abdruck mit sämtlichen Fahrzeugen der Familie und sonstigen Bewohner des Hauses zu vergleichen, war jetzt irgendwo dort draußen, um ihre Arbeit zu machen. Auch der Wagen der Toten, ein blauer VW Golf, gehörte dazu. Und die Wagen der Besucher, einschließlich dem von Superintendent Markby. Er würde verstehen, dass seine Reifen mit dem Abdruck verglichen werden mussten. Jess hoffte, dass sie bis Montagnachmittag den Bericht von Ginny Holding vorliegen haben würde.
An dieser Stelle hielt sie inne, um sich noch einmal sorgfältig durchzulesen, was sie niedergeschrieben hatte. Sie musste dringend noch einmal mit den Jenners reden. Das hieß, sie musste ein weiteres Mal mit Jeremy Jenner und ein erstes Mal mit seiner Frau Alison reden. Ihr letzter Job am vorhergehenden Abend war gewesen, noch einmal nach Overvale House zu fahren und Jeremy Jenner zu informieren, dass seine Tochter an einer Stichwunde verstorben war. Zuerst hatte Jenner zurückhaltend schockiert reagiert, doch Jess’ vorsichtige Bitte, vor Montag mit Mrs Jenner zu sprechen, hatte einen Ausbruch nach sich gezogen.
»Sie wissen, dass der Arzt ihr ein Beruhigungsmittel gegeben hat! Sie wird auch morgen benommen sein, und sobald sie einigermaßen klar denken kann, werde ich ihr sagen müssen, dass Fiona erstochen wurde. Sie wird ihre Zeit brauchen, um den Schock zu überwinden. Ich versuche ständig, mit meiner Exfrau Kontakt aufzunehmen, Fionas Mutter. Das wird eine verdammt schwierige Geschichte. Was um alles in der Welt soll ich ihr sagen? Wie soll ich ihr erklären, was passiert ist? Sie müssen bis Montag warten.«
Smythe hatte nach außen hin schockierter gewirkt angesichts der Neuigkeiten und wiederholt, wie sehr er wünschte, er hätte Fiona bei ihrem morgendlichen Joggen begleitet. Er war der Letzte im Haus gewesen, der die Tote lebend gesehen hatte. Smythe war ein interessanter Mann, dachte Jess. Sie spürte, dass hinter dem lässigen Äußeren, dem desorganisierten Benehmen und der Trauer ein scharfer Verstand lauerte. Smythe war kein Dummkopf. Er war ein Überflieger in seinem Job beim Foreign and Commonwealth Office. Es bestand die Möglichkeit, und das musste Jess untersuchen, einer romantischen Verbindung zwischen Smythe und der Toten. Die Tageszeit, die Smythe genannt hatte, zehn Minuten nach acht, war wichtig. Es war eine durchaus normale Zeit für jemanden, der zum Joggen das Haus verlässt. Es war keine normale Zeit, um einem Eindringling auf dem Grundstück zu begegnen. Einbrecher waren um diese Zeit längst wieder zu Hause und in ihren Betten, dachte Jess ironisch. Oder vielleicht nicht? Vielleicht war Fiona zu dieser frühen Stunde jemandem begegnet, der damit gerechnet hatte, nicht gestört zu werden, und der das Gelände beobachtet hatte? Jess kritzelte eine Notiz in ihr Büchlein. Sie musste überprüfen, ob in letzter Zeit in andere große Häuser in der Gegend eingebrochen worden war.
Fiona. Sie musste mehr über Fiona Jenner herausfinden. Aber vorher war da noch Alison, die Empfängerin der Drohbriefe.
»Ich verliere jeden Vorteil«, murmelte Jess vor sich hin. »Wenn es ein Mord war, dann ist Zeit von entscheidender Bedeutung, und ich sitze hier herum und schreibe einen Bericht und warte ohnmächtig darauf, die Stiefmutter zu befragen, die selbst einmal wegen Mordes vor Gericht gestanden hat und seit neuestem Drohbriefe erhält. Ginny Holding verschwendet ihre Zeit mit der Jagd nach einem Reifenabdruck, von dem sich wahrscheinlich herausstellt, dass er schon Wochen alt ist.« Ihre Frustration war begründet. Nach zweiundsiebzig Stunden wurde eine Spur kalt. Jeder Polizeibeamte wusste das.
Auf ihrem Schreibtisch lag neuer Lesestoff in der Form zweier Akten. Die obere, dünnere der beiden enthielt die knappen Details über den Drohbrief, den Alison Jenner erhalten hatte, zusammen mit dem negativen Bericht der Spurensicherung. Die zweite Akte war dicker. Jess nahm sie neugierig auf. Die Blätter darin schienen per Fax übermittelt worden zu sein. Es ging um einen alten Fall, einen Mordprozess. Die Angeklagte: Alison Harris. Jess’
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