Und sie wunderten sich sehr
Vor-die-Tür-Stellen sei es zu schade.« Das haben mir die Leute gesagt.
Papa hat das Paket schon beim Aufschließen der Tür wieder im Flur stehen sehen – und mein enttäuschtes Gesicht gleich dazu. Er hat das abgelehnte Paket dann auf den Hängeboden geräumt, hinter die Skier und den Schlitten. In ein paar Tagen wird er auch noch den Weihnachtsbaumständer da hochwuchten und ihn davorstellen. Ich möchte bis zum nächsten Dezember nicht daran rühren.
Papa hat jedenfalls beschlossen, alles positiv zu sehen:
»Wenn sie die Kraft findet, ein Geschenk zurückzubringen, wenn sie hierherspaziert, in unsere Straße, wenn sie hier klingelt, unten im Geschäft freundlich ein Paket abgibt, dann hat sie auch genug Kraft für jeden einzelnen Tag. Vielleicht ist ihr Widerstand das Beste, was uns geschehen kann.«
Mir fällt das schwer, in deiner Ablehnung etwas Positives zu sehen. Verweigerte Geschenke verletzen mich nun |40| mal, nicht nur mich. Ich glaube, sie verletzen jeden, der mit einem Geschenk etwas von sich selbst preisgibt. Es sollte doch kein Ziel verfolgen, kein Ergebnis damit erreicht werden. Einfach nur ein Geschenk.
Aber vielleicht hat Papa – mehr der Handwerker als der Redner – dich in seiner stillen Art besser verstanden, als ich es kann. Wäre ich erleichterter gewesen, du hättest das Weihnachtsgeschenk angenommen und weiter geschwiegen? Vermutlich nicht. Vielleicht waren wir keine »heilige« Familie, sind es nie gewesen und werden es auch nicht sein. Auch unsere Kunst, einander sein zu lassen, wie wir sind, war alles andere als groß. Vielleicht ist es neben all dem noch ein ganz kleiner Schritt hin zu der Einsicht, dass ich dich im Lieben mehr lassen muss.
Auch wenn diese verweigerte Annahme nicht deine letzte bleiben wird, selbst wenn die traurigen Passagen unserer Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben sind, auch wenn die Entfernung zwischen deinem und meinem Leben nicht größer sein könnte für den Moment … der erste Schritt ist gesetzt.
|41| III
Geschenkt: Große Freude, die aller Welt widerfahren wird
Gute Gedanken, liebevolle Zeilen, die letztlich doch nicht abgeschickt wurden – aus welchen Gründen auch immer. Verweigerte Geschenke. Auch das erleben Menschen zu Weihnachten. In den vorangegangenen Geschichten war davon die Rede. Geschenke sind Vieles: höfliche Tauschgabe, standardisiertes Ritual, an das man sich trotz aller Pflichtgedanken und Fantasiemühe gern hält. Geschenke gelten als wortlose Dank-Sager oder werden verknüpft mit einem Ziel, etwa einer Botschaft, die man anders nicht sagen möchte oder kann. Geschenke werden manchmal zu mobilen, zumeist verpackbaren Bühnen unserer Liebeskunst. Manchmal ist diese Kunst nur kleinformatig; dann sagt das Geschenk mehr über die Abwesenheit der Liebe als zu ihrer Anwesenheit.
Biblisch gesehen ist das Wunder der Weihnacht ein Geschenk, das dem Empfänger gewissermaßen zu groß scheint, um es anzunehmen. Dabei handelt es sich nicht um verschiedene, mehr oder weniger wundersame Wunder der Weihnachtszeit. Eine zentral gewordene biblische Geschichte, erzählt durch den Evangelisten Matthäus, meint da klar das eine Wunder: Eine Jungfrau wird schwanger werden.
Es ist hier nicht der Ort, die wissenschaftliche und historische Diskussion noch einmal zusammenzufassen. Gottes Anteil an dieser Geschichte der Begegnung mit Maria ist keine Liebhaberkompensation. Eine Geburt unter der Voraussetzung, sexuell unberührt zu bleiben, wird hier nicht als quasi natürlicher Vorgang und dann zugleich doch irgendwie im Kontrast zur Natur beschrieben. Worauf kommt es |42| an? Ein Kind ist göttlich, das heißt: eigentlich nicht von dieser Welt – und doch ganz für diese Welt da. Wenn es einen Kontrast gibt, dann doch den zu unseren alltäglichen Erwartungen. Zu diesen Erwartungen will das eine nicht passen: Wer nämlich macht sich schon für etwas verantwortlich, mit dem er im Grunde erst mal nichts zu schaffen hat? Ein Wunder geschieht nicht im Gegensatz zur Natur, sondern entgegen dem, was wir wissen, erwarten, prognostizieren.
Haben wir erst einmal unter diesen genannten Voraussetzungen den Mut, es ein Wunder zu nennen, dann bildet dieses Wunder des göttlichen Kindes gewissermaßen eine auf den Gipfel getriebene Idee des Schenkens ab. Es geht hier nicht um ein Abwägen von natürlichen und übernatürlichen Gegebenheiten. Es geht nicht darum, einen Menschen, hier also die junge Frau Maria, mit vielleicht besonderen natürlichen
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