Und so verlierst du sie
viejo überhaupt noch herumläuft.
Danach sind wir still. Er zieht den Kopf so tief ein, dass die Sehnen in seinem Hals hervortreten. Ich weiß, dass er losbrüllt, wenn ich etwas sage. Als er vor dem Haus hält, rutschen die Reifen über den Schnee.
Musst du heute Nacht arbeiten?, frage ich.
Natürlich.
Müde lehnt er sich im Buick zurück. Die Windschutzscheibe ist schlierig und verdreckt, an den Rändern, die die Scheibenwischer nicht erreichen, hat sich eine Schmutzkruste gebildet. Wir beobachten zwei Kinder, die ein drittes mit Schneebällen bombardieren, und ich spüre, wie Ramón traurig wird, und weiß, dass er an seinen Sohn denkt, und jetzt will ich ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, alles wird gut.
Kommst du noch vorbei?
Kommt darauf an, wie es auf der Arbeit läuft.
Ist gut, sage ich.
Meine Mitbewohnerinnen lächeln sich über die schmierige Tischdecke hinweg scheinheilig an, als ich ihnen von dem Haus erzähle. Klingt, als wärst du bald bien cómoda, sagt Marisol.
Mach dir mal keine Sorgen.
Mache ich nicht. Sei doch stolz.
Bin ich, sage ich.
Nachher liege ich im Bett und lausche auf die Laster draußen, auf deren Ladeflächen Salz und Sand herumrutschen. Mitten in der Nacht wache ich auf und merke, dass er nicht zurückgekommen ist, aber wütend werde ich erst morgens. Ana Iris’ Bett ist gemacht, das Moskitonetz liegt ordentlich zusammengefaltet am Fußende. Ich höre sie im Badezimmer gurgeln. Meine Hände und Füße sind blau vor Kälte, und wegen des Reifs und der Eiszapfen kann ich nicht durch das Fenster sehen. Als Ana Iris anfängt zu beten, sage ich, Heute bitte nicht.
Sie lässt die Hände sinken. Ich ziehe mich an.
Er erzählt wieder von dem Mann, der aus den Dachsparren gefallen ist. Was hättest du gemacht, wenn ich das gewesen wäre?, fragt er mich wieder.
Ich hätte mir einen anderen gesucht, antworte ich.
Er lächelt. Wirklich? Und wo hättest du einen gefunden?
Du hast doch Freunde, oder?
Welcher Mann würde denn die novia eines Toten anrühren?
Keine Ahnung, meine ich. Ich müsste es ja keinem sagen. Ich könnte jemanden finden, so wie ich dich gefunden habe.
Sie würden es merken. Sogar ein echter bruto würde den Tod in deinen Augen sehen.
Man trauert doch nicht ewig.
Manche schon. Er küsst mich. Du auch, würde ich wetten. Mich kann man nicht so einfach ersetzen. Das sagen sie mir immer auf der Arbeit.
Wie lange hast du um deinen Sohn getrauert?
Er hört auf, mich zu küssen. Enriquillo. Ich habe lange um ihn getrauert. Er fehlt mir immer noch.
Das sieht man dir nicht an.
Du siehst nicht genau genug hin.
Ich glaube nicht, dass man so etwas merkt.
Er legt die Hände neben sich. Du bist keine kluge Frau.
Ich meine doch nur, dass man so etwas nicht merkt.
Jetzt kapiere ich, sagt er. Du bist wirklich keine kluge Frau.
Als er vor dem Fenster sitzt und raucht, ziehe ich den letzten Brief seiner Frau aus meiner Handtasche und öffne ihn vor seinen Augen. Er weiß nicht, wie unverfroren ich sein kann. Ein Blatt, das nach Veilchenwasser riecht.
Bitte
, hat Virta säuberlich mitten auf die Seite geschrieben. Mehr nicht. Ich lächle Ramón an und stecke den Brief wieder in den Umschlag.
Ana Iris hat mich einmal gefragt, ob ich ihn liebe, und ich habe ihr von den Lampen in meinem alten Zuhause in der Hauptstadt erzählt, die ständig flackerten, und man wusste nie, ob sie ausgehen oder nicht. Man hat weggelegt, was man in der Hand hatte, und gewartet, weil man nichts machen konnte, bis sich die Lampen entschieden hatten. So, habe ich gesagt, fühle ich mich auch.
Und so sieht seine Frau aus. Sie ist klein, hat enorm breite Hüften und den tiefen Ernst einer Frau, die man doña nennen wird, bevor sie vierzig ist. Ich glaube, wenn wir ein Leben teilen würden, wären wir keine Freundinnen.
Ich halte das blaue Krankenhausbettlaken hoch und schließe die Augen, aber die Blutflecken schweben in der Dunkelheit vor mir. Können wir das mit Bleiche noch retten?, fragt Samantha. Sie ist zurück, aber ich weiß nicht, für wie lange. Ich weiß nicht, warum ich sie nicht rauswerfe. Vielleicht, weil ich ihr eine Chance geben will. Vielleicht, weil ich sehen will, ob sie von selbst geht oder nicht. Was würde mir das sagen? Sehr wenig, schätze ich. In der Tasche zu meinen Füßen steckt seine Kleidung, ich wasche sie mit den Krankenhaussachen mit. Einen Tag lang wird er nach meiner Arbeit riechen, aber ich weiß, dass Brot stärker ist als Blut.
Ich achte immer noch
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