Und so verlierst du sie
nächsten Tag gebe ich ihr achthundert. Die Hälfte von meinem Ersparten. Vergiss das nicht.
Werde ich nicht, verspricht sie.
Sie ist so glücklich. Glücklicher als ich, als wir in das Haus gezogen sind. So frei wäre ich auch gerne. Während der restlichen Schicht singt sie, Lieder aus der Zeit, als ich jünger war, Adamo und so was. Aber sie ist immer noch Samantha. Bevor wir ausstempeln, sagt sie zu mir, Trag nicht so viel Lippenstift. Deine Lippen sind so schon groß genug.
Ana Iris lacht. Das hat die Kleine zu dir gesagt?
Ja, hat sie.
Que desgraciada, sagt sie, nicht ohne Bewunderung.
Am Ende der Woche kommt Samantha nicht mehr zur Arbeit. Ich frage herum, aber niemand weiß, wo sie wohnt. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie an ihrem letzten Tag etwas Besonderes gesagt hätte. Sie ist so still wie immer gegangen, hat sich Richtung Stadtmitte treiben lassen, wo ihr Bus abfährt. Ich warte eine Woche, bete für sie. Ich denke an mein erstes Jahr hier zurück, daran, wie verzweifelt ich mir gewünscht habe, nach Hause zu fahren, wie oft ich geweint habe. Ich bete, dass sie bleibt, so wie ich.
Eine Woche. Ich warte eine Woche, und dann entlasse ich sie. Das Mädchen, das sie ersetzt, ist still und dick und arbeitet ohne Pause und ohne Murren. Wenn ich mal wieder komischer Stimmung bin, stelle ich mir Samantha zu Hause bei ihrer Familie vor. Zu Hause, wo es warm ist. Und sage mir, Ich würde nie zurückgehen. Für nichts und niemanden.
An manchen Abenden, während Ramón an den Wasserleitungen arbeitet oder die Böden abschleift, lese ich die alten Briefe und nippe an dem Rum, den wir unter der Küchenspüle aufbewahren, und denke natürlich an sie, die Frau aus dem anderen Leben.
Ich bin schwanger, als der nächste Brief schließlich eintrifft. Nachgesandt von Ramóns alter Wohnung in unser neues Zuhause. Ich ziehe den Brief aus einem Stapel Post und starre ihn an. Mein Herz hämmert, als wäre es allein, als wäre sonst nichts in mir. Ich würde ihn gern öffnen, stattdessen rufe ich Ana Iris an; wir haben lange nicht miteinander geredet. Ich beobachte die Vögel in den Hecken, während es am anderen Ende der Leitung klingelt.
Ich möchte einen Spaziergang machen, sage ich ihr.
An den Spitzen der Äste brechen die Knospen auf. Als ich das alte Haus betrete, gibt sie mir einen Kuss und sagt, ich solle mich an den Küchentisch setzen. Ich kenne nur noch zwei der Mitbewohnerinnen, die anderen sind weitergezogen oder nach Hause zurückgekehrt. Andere Mädchen von der Insel sind nachgerückt. Sie schlurfen herein und heraus, sehen mich kaum an, erschöpft von den Versprechen, die sie gegeben haben. Ich würde ihnen gerne raten: Kein Versprechen überlebt das Meer. Ich habe schon ein Bäuchlein, und Ana Iris ist dünn und abgekämpft. Ihre Haare sind schon monatelang nicht mehr geschnitten worden, die splissigen Enden ragen wie ein zweiter Schopf aus den dicken Strähnen. Aber sie kann noch lächeln, sie strahlt so sehr, dass es ein Wunder ist, dass nichts Feuer fängt. Irgendwo oben singt eine Frau einen bachata, und ihre tragende Stimme erinnert mich daran, wie groß das Haus ist, wie hoch die Decken sind.
Hier, sagt Ana Iris und gibt mir einen Schal. Gehen wir spazieren.
Ich halte den Brief mit beiden Händen fest. Der Tag hat die Farbe von Tauben. Unsere Füße zerdrücken die letzten Schneeflecken, die von Kies und Straßenstaub überzogen sind. Wir warten, bis der Wust aus Autos vor der Ampel stockt, dann laufen wir in den Park. In unseren ersten Monaten zusammen waren Ramón und ich jeden Tag im Park. Nur, um nach der Arbeit runterzukommen, sagte er, aber ich habe mir jedes Mal die Nägel rot lackiert. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, bevor wir uns zum ersten Mal geliebt haben, und dass ich schon wusste, dass es passieren würde. Er hatte mir gerade zum ersten Mal von seiner Frau und seinem Sohn erzählt. Ich dachte darüber nach, sagte nichts, überließ es meinen Füßen, uns zu führen. Wir trafen auf eine Gruppe Jungs, die Baseball spielten, und er drängelte, bis sie ihm den Schläger gaben, ließ ihn durch die Luft sausen und schickte die Jungs weit nach hinten. Weil ich dachte, dass er sich blamieren würde, wich ich zurück und machte mich bereit, ihm den Arm zu tätscheln, falls er hinfiel oder der Ball direkt vor ihm aufprallte, aber mit einem hellen Knall des Aluminiumschlägers traf er und schlug den Ball mit einer lässigen Drehung des Oberkörpers noch weit hinter die Kinder.
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