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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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bodega herein. Die Leute um uns herum reden, und wir reden auch.
    Du hast Glück, dass du bald rauskommst, sagt sie. Diese cueros machen mich noch wahnsinnig.
    Es ist noch etwas früh dafür, aber ich sage trotzdem: Ich werde dich vermissen, und sie lacht.
    Du bist auf dem Weg in ein anderes Leben. Du wirst gar nicht dazu kommen, mich zu vermissen.
    Doch, werde ich. Wahrscheinlich komme ich dich jeden Tag besuchen.
    Dafür hast du keine Zeit.
    Ich muss sie mir nur nehmen. Willst du mich etwa loswerden?
    Natürlich nicht, Yasmin. Sei nicht albern.
    Es dauert sowieso noch eine Weile. Mir fällt ein, was Ramón immer wieder gesagt hat. Es kann alles Mögliche passieren.
    Den Rest des Films sitzen wir still da. Ich habe nicht gefragt, was sie von meinem Umzug hält, und sie hat von allein nichts gesagt. Wir respektieren es, wenn die andere über bestimmte Dinge schweigt, so wie ich nie frage, ob sie irgendwann ihre Kinder nachholen will. Ich weiß nicht, was sie machen wird. Sie hat den einen oder anderen Freund gehabt, und auch diese Männer haben in unserem Zimmer geschlafen, aber Ana Iris hat sie nie lange behalten. Dicht nebeneinander gehen wir vom Kino nach Hause und sehen uns vor dem schimmernden Eis vor, das wie Narben den Schnee durchzieht. Die Gegend ist nicht ungefährlich. Jungs, die auf Spanisch gerade mal fluchen können, drängen sich mit finsteren Mienen an den Straßenecken zusammen. Sie laufen auf die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten, und als wir auf ihrer Höhe sind, sagt ein dicker Typ, Ich kann Muschis besser lecken als jeder andere. Cochino, zischt Ana Iris und berührt mich. Wir kommen an der alten Wohnung vorbei, in der ich früher gelebt habe, der Wohnung über der Bar, und ich starre hinauf und versuche mich zu erinnern, aus welchem Fenster ich damals rausgesehen habe.
    Komm weiter, sagt Ana Iris. Es ist eiskalt.

    Ramón muss Virta etwas gesagt haben, denn es kommen keine Briefe mehr. Es stimmt wohl, wie es so schön heißt: Wenn man nur lange genug wartet, verändert sich alles.
    Die Sache mit dem Haus dauert länger, als sogar ich mir hätte vorstellen können. Ein halbes Dutzend Mal schmeißt er fast alles hin, knallt Handys auf den Tisch, schleudert seinen Drink gegen die Wand, und ich rechne schon damit, dass es nichts wird, dass es nicht klappt. Aber dann klappt es doch, wie durch ein Wunder.
    Sieh mal, sagt er und hält die Unterlagen hoch. Sieh dir das an. Er klingt beinahe flehentlich.
    Ich freue mich wirklich für ihn. Du hast es geschafft, mi amor.
    Wir haben es geschafft, korrigiert er leise. Jetzt können wir anfangen.
    Dann legt er den Kopf auf den Tisch und weint.
    Im Dezember ziehen wir ein. Das Haus ist eine halbe Ruine, nur zwei Zimmer sind bewohnbar. Fast wie dort, wo ich direkt nach meiner Ankunft in diesem Land gewohnt habe. Den ganzen Winter über funktioniert die Heizung nicht, und einen Monat lang müssen wir einen Eimer benutzen, um uns zu waschen. Ich nenne das Haus zum Spaß Casa de Campo, aber er reagiert nicht besonders gut auf Kritik an seinem »niño«. Nicht jeder schafft es, ein Haus sein Eigen zu nennen, erinnert er mich, was natürlich stimmt. Ich habe acht Jahre darauf gespart. Pausenlos arbeitet er an dem Haus und durchkämmt die verlassenen Grundstücke in der Straße nach Material. Jede Bodendiele, die er einsammelt, spart bares Geld, prahlt er. Trotz des vielen Grüns ist die Gegend nicht unproblematisch, und wir müssen darauf achten, immer alles abzuschließen.
    In den ersten Wochen klopfen immer wieder Leute an und fragen, ob das Haus noch zum Verkauf steht. Darunter sind Pärchen, die so hoffnungsvoll aussehen wie wir wohl früher. Ramón schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu, als hätte er Angst, sie könnten ihn dahin zurückschleifen, wo sie selbst stehen. Aber wenn ich aufmache, bringe ich es ihnen schonend bei. Leider nicht, sage ich. Viel Glück bei der Suche.
    Eines weiß ich: Menschen hoffen ewig.
    Das Krankenhaus baut einen weiteren Flügel an; drei Tage, nachdem die Kräne unser Gebäude wie zum Gebet umringt haben, zieht Samantha mich beiseite. Der Winter hat sie ausgetrocknet, sie hat Hände wie ein Reptil und so spröde Lippen, dass sie jeden Moment aufreißen könnten. Ich muss mir Geld leihen, flüstert sie. Meine Mutter ist krank.
    Es ist immer die Mutter. Ich wende mich ab.
    Bitte, fleht sie. Wir kommen doch aus dem gleichen Land.
    Stimmt. Das tun wir.
    Dir hat doch bestimmt auch mal jemand geholfen.
    Stimmt auch.
    Am

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