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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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Die Jungs rissen die Arme hoch und jubelten, und er lächelte mich über ihre Köpfe hinweg an.
    Wortlos laufen wir durch den ganzen Park, dann kehren wir um und überqueren wieder die Schnellstraße Richtung Innenstadt.
    Sie schreibt wieder, sage ich, aber Ana Iris unterbricht mich.
    Ich habe meine Kinder angerufen, erzählt sie. Sie zeigt auf den Mann gegenüber dem Gerichtsgebäude, von dem sie die Nummern gestohlener Telefonkarten kauft. Sie sind schon so groß geworden, sagt sie, dass ich ihre Stimmen kaum erkenne.
    Wenig später müssen wir uns setzen, damit ich ihre Hand halten und sie weinen kann. Ich sollte etwas sagen, aber ich weiß nicht, wo man da anfangen kann. Sie wird sie herholen oder zurückgehen. Das zumindest hat sich geändert.
    Es wird kalt. Wir gehen nach Hause. An der Tür umarmen wir uns eine Stunde lang, so kommt es mir vor.
    Am Abend gebe ich Ramón den Brief und versuche zu lächeln, während er ihn liest.

FLACA
    Dein linkes Auge fing immer an zu wandern, wenn du müde oder aufgeregt warst. Es sucht etwas, hast du dann gesagt, und wenn wir uns damals gesehen haben, hat es so geflattert und sich verdreht, dass du einen Finger auf das Auge legen musstest, damit es aufhört. Das hast du auch gemacht, als ich aufwachte und merkte, dass du auf meiner Stuhlkante sitzt. Du trugst noch dein Lehrerinnenoutfit, hattest aber die Jacke ausgezogen und die Bluse so weit aufgeknöpft, dass ich den schwarzen BH sehen konnte, den ich dir geschenkt hatte, und die Sommersprossen auf deiner Brust. Wir wussten nicht, dass es die letzten Tage waren, aber wir hätten es wissen sollen.
    Ich bin gerade erst reingekommen, hast du gesagt, und ich habe nach draußen gesehen, wo dein Civic stand.
    Mach lieber die Fenster zu.
    Ich bleibe nicht lange.
    Er wird noch geklaut.
    Ich gehe gleich wieder.
    Du bliebst auf deinem Stuhl sitzen, und ich hütete mich, dir näher zu kommen. Mit deinem ausgeklügelten System wolltest du dafür sorgen, dass wir nicht im Bett landen: Du hast dich auf die andere Zimmerseite gesetzt, hast mir verboten, mit deinen Knöcheln zu knacken, und bist nie länger als eine Viertelstunde geblieben. Aber richtig funktioniert hat es nie, oder?
    Ich habe Abendessen für euch, sagtest du. Ich habe für meine Klasse Lasagne gemacht und euch die Reste mitgebracht.
    Mein Zimmer ist heiß und klein und von Büchern überflutet. Du warst nie gerne hier (als wäre man in einer Socke, meintest du), und wenn die Jungs nicht da waren, schliefen wir im Wohnzimmer auf dem Teppich.
    Unter deinem langen Haar hast du geschwitzt, und irgendwann hast du die Hand vom Auge genommen. Du hast die ganze Zeit geredet.
    Heute habe ich eine neue Schülerin bekommen. Ihre Mutter hat mir gesagt, ich sollte mich bei ihr vorsehen, sie hätte das zweite Gesicht.
    Das zweite Gesicht?
    Du nickst. Ich habe die Señora gefragt, ob ihr das zweite Gesicht in der Schule hilft. Sie meinte, nicht besonders, aber ihr hätte es ein paarmal beim Wetten geholfen.
    Ich soll wohl lachen, aber ich starre nach draußen, wo ein Blatt in der Form eines Fäustlings an deiner Windschutzscheibe klebt. Du stellst dich neben mich. Als ich dich die ersten Male gesehen habe, erst in unserem Joyce-Seminar und dann im Fitnessstudio, wusste ich, dass ich dich Flaca nennen würde. Wärst du Dominikanerin gewesen, hätte sich meine Familie Sorgen um dich gemacht, hätte mir volle Teller an die Tür gebracht. Berge von plátanos und yuca, begraben von Leber oder queso frito.
Flaca
. Obwohl du Veronica heißt, Veronica Hardrada.
    Die Jungs kommen bald nach Hause, sage ich. Vielleicht solltest du deine Fenster zumachen.
    Ich gehe jetzt, sagst du und legst wieder eine Hand über das Auge.

    Das zwischen uns sollte nichts Ernstes werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir heiraten oder so, und du hast genickt und gesagt, dass du das verstehst. Dann haben wir gevögelt, damit wir so tun konnten, als wäre gerade nichts Schmerzliches passiert. Das war vielleicht unser fünftes Treffen, und du hast dir dein schwarzes Etuikleid und die mexikanischen Sandalen wieder angezogen und gesagt, ich könnte dich anrufen, wenn ich wollte, aber du würdest mich nicht anrufen. Du musst bestimmen, wann und wo, hast du gesagt. Wenn du die Entscheidung mir überlässt, will ich dich jeden Tag sehen.
    Wenigstens warst du ehrlich, was ich von mir nicht behaupten kann. Unter der Woche habe ich dich nie angerufen, habe dich nicht mal vermisst. Ich war mit den Jungs und meiner

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