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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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weiß überhaupt nichts über Schnee. Ich hatte ihn erschreckt. Er ging zum Fenster und spähte hinaus.
    Uns passiert nichts, sagte Mami. Solange wir es warm haben. Sie drehte die Heizung noch höher.
    Aber wenn er uns begräbt?
    So viel schneit es nicht.
    Woher weißt du das?
    Weil dreißig Zentimeter Schnee niemanden begraben, nicht mal eine Nervensäge wie dich.
    Ich ging auf die Veranda und sah zu, als der erste Schnee wie fein gesiebte Asche vom Himmel fiel. Papi fühlt sich bestimmt schlecht, wenn wir sterben, sagte ich.
    Mami drehte sich weg und lachte.
    In einer Stunde fielen zehn Zentimeter, und es schneite immer noch.
    Mami wartete, bis wir im Bett waren, aber ich hörte die Tür und weckte Rafa. Sie macht es schon wieder, sagte ich.
    Rausgehen?
    Ja.
    Grimmig zog er seine Stiefel an. Er blieb an der Tür stehen und sah sich in der leeren Wohnung um. Komm, wir gehen, sagte er.
    Sie stand am Rand des Parkplatzes und wollte die Westminster überqueren. Das Licht aus den Wohnungen fiel grell auf den gefrorenen Boden, und unser Atem hing weiß in der Abendluft. Windböen fegten Schnee vor sich her.
    Geht nach Hause, sagte sie.
    Wir rührten uns nicht.
    Habt ihr wenigstens die Haustür abgeschlossen?, fragte sie.
    Rafa schüttelte den Kopf.
    Den Dieben ist es bestimmt zu kalt, meinte ich.
    Mami lächelte und wäre fast auf dem Gehweg ausgerutscht. Auf diesem vaina kann ich kaum laufen.
    Ich kann das gut, sagte ich. Halt dich einfach an mir fest.
    Wir überquerten die Westminster. Die Autos fuhren ganz langsam, und der Wind war laut und voller Schnee.
    So schlimm ist das gar nicht, sagte ich. Die Leute hier sollten mal einen Hurrikan sehen.
    Wohin sollen wir gehen?, fragte Rafa. Er blinzelte ständig, damit ihm kein Schnee in die Augen kam.
    Geradeaus, sagte Mami. Dann verlaufen wir uns nicht.
    Wir könnten Markierungen auf dem Eis machen.
    Sie legte die Arme um uns. Es ist einfacher, wenn wir geradeaus gehen.
    Wir liefen bis zum Ende der Apartmenthäuser und sahen auf die Müllkippe, einen unförmigen, schemenhaften Hügel, der an den Raritan grenzte. Müllbrände überzogen die Kippe wie Geschwüre, Müllwagen und Bulldozer standen still und andächtig an ihrem Fuß. Es roch nach etwas, das der Fluss von seinem Grund heraufgeholt hatte, etwas Feuchtem und Schnaufendem. Als Nächstes entdeckten wir die Basketballplätze und das leere Schwimmbecken und Parkwood, die nächste Siedlung, schon ganz bewohnt und voller Kinder.
    Wir sahen sogar das Meer dort oben auf der Westminster, wie eine lange, gebogene Messerklinge. Mami weinte, aber wir taten so, als würden wir es nicht merken. Wir warfen Schneebälle auf die vorbeirutschenden Autos, und einmal nahm ich sogar meine Mütze ab, damit ich die Schneeflocken auf meiner kalten, harten Kopfhaut spüren konnte.

MISS LORA
    1
    Jahre später solltest du dich fragen, ob du es auch gemacht hättest, wenn es deinen Bruder nicht gegeben hätte. Du weißt noch, wie die anderen Typen über sie hergezogen waren – weil sie so dünn war, kein culo, keine Titten, como un palito, aber deinem Bruder war das egal. Ich würde sie vögeln.
    Du würdest alles vögeln, spottete jemand.
    Er bedachte diesen Jemand mit einem forschen Blick. Du sagst das, als wäre es was Schlechtes.

2
    Dein Bruder. Seit einem Jahr tot, und immer noch durchzuckt dich manchmal eine kauterisierende Traurigkeit deswegen, obwohl er am Ende so ein Riesenarschloch war. Er ist wirklich nicht leicht gestorben. In den letzten Monaten hat er ständig versucht wegzulaufen. Sie fingen ihn wieder ein, als er vor dem Beth Israel ein Taxi anhalten wollte oder in seinen Krankenhausklamotten durch Newark lief. Einmal schwindelte er eine Exfreundin an, damit sie ihn nach Kalifornien fuhr, aber in der Nähe von Camden bekam er Krämpfe, und sie rief panisch bei dir an. War das ein atavistischer Drang, allein zu sterben, ohne gesehen zu werden? Oder wollte er nur etwas wahr machen, das immer in ihm gesteckt hatte? Warum machst du das?, hast du ihn gefragt, aber er hat nur gelacht. Was denn?
    Als er in den letzten Wochen schließlich zu schwach war, um wegzulaufen, weigerte er sich, mit dir oder deiner Mutter zu reden. Sagte kein Wort mehr, bis er starb. Deiner Mutter war das egal. Sie liebte ihn und betete für ihn und redete mit ihm, als ginge es ihm noch gut. Aber dich verletzte dieses sture Schweigen. Seine letzten Tage, verdammt nochmal, und er sagte kein Wort. Wenn du ihn etwas fragtest, etwa, Wie geht es dir heute?,

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