Und so verlierst du sie
keine Kinder hatten, die allein lebten, die noch halbwegs jung waren. Bestimmt war irgendwas passiert, vermutete deine Mutter. In ihren Augen ließ sich eine Frau ohne Kinder nur durch großes, ungebremstes Unheil erklären.
Vielleicht mag sie Kinder einfach nicht.
Niemand mag Kinder, erklärte deine Mutter dir. Das heißt nicht, dass man keine hat.
Miss Lora war keine aufregende Frau. In eurer Gegend gab es etwa tausend schärfere viejas, etwa Mrs del Orbe, die dein Bruder bis zum Umfallen gevögelt hatte, bis ihr Mann es mitbekam und mit der ganzen Familie wegzog. Miss Lora war zu dünn. Hatte null Hüften. Auch keine Brüste, keinen Hintern, nicht mal ihre Haare waren annehmbar. Klar, sie hatte ihre Augen, aber in eurer Gegend war sie vor allem für ihre Muskeln berühmt. Nicht dass sie so riesige hatte wie du, sie war nur hammermäßig sehnig, jeder einzelne Muskelstrang trat krass definiert hervor. Neben der Alten wirkte Iggy Pop pummelig, und jeden Sommer sorgte sie im Schwimmbad für ziemliches Aufsehen. Trug immer einen Bikini, obwohl sie keine Kurven hatte, das Oberteil spannte sich über ihre harten Brustmuskeln, das Höschen schmiegte sich an das straffe, definierte Gesäß. Sie tauchte immer, und ihre schwarzen, gewellten Haare glitten wie ein Schwarm Aale durch das Wasser. Und sie sonnte sich (was keine der anderen Frauen tat) bis zum dunkel schimmernden Walnussbraun eines alten Schuhs. Die Frau sollte sich nicht ausziehen, beschwerten sich die Mütter. Sie sieht aus wie eine Plastiktüte voller Würmer. Aber wer konnte die Augen von ihr lassen? Du und dein Bruder schon mal nicht. Die Kinder fragten sie, Machen Sie Bodybuilding, Miss Lora?, und sie schüttelte hinter ihrem Taschenbuch nur den Kopf. Tut mir leid, Jungs, ich wurde einfach so geboren.
Nachdem dein Bruder gestorben war, hatte sie euch ein paarmal in der Wohnung besucht. Sie und deine Mutter hatten einen gemeinsamen Ort, La Vega, wo Miss Lora geboren war und deine Mutter sich nach dem Guerra Civil erholt hatte. Ein volles Jahr gleich hinter der Casa Amarilla hatte aus deiner Mutter eine echte vegana gemacht. Im Traum höre ich immer noch den Río Camú, sagte deine Mutter. Miss Lora nickte. Als ich noch ganz jung war, habe ich einmal Juan Bosch in unserer Straße gesehen. Sie setzten sich zusammen und beratschten das endlos. Ab und zu hielt sie dich auf dem Parkplatz an. Wie geht es dir? Wie geht es deiner Mutter? Und du wusstest nie, was du sagen solltest. Deine Zunge war immer geschwollen und wund, weil sie im Schlaf in ihre Atome zersprengt wurde.
5
Als du heute vom Laufen nach Hause kommst, steht sie in der Tür und unterhält sich mit la Doña. Deine Mutter ruft dich. Sag der profesora hallo.
Ich bin ganz verschwitzt, protestierst du.
Deine Mutter braust auf. Was glaubst du, mit wem zum carajo du redest? Coño, sag der profesora hallo.
Hallo, profesora.
Hallo, Schüler.
Sie lacht und unterhält sich weiter mit deiner Mutter.
Du weißt selbst nicht, warum du plötzlich so wütend wirst.
Ich könnte Sie locker hochheben, sagt du und spannst deine Armmuskeln an.
Und Miss Lora mustert dich mit einem übermütigen Grinsen. Was erzählst du denn da? Ich könnte eher
dich
hochheben.
Sie legt beide Hände an deine Taille und tut, als würde sie es versuchen.
Deine Mutter lacht verkniffen. Aber du spürst, wie sie euch beobachtet.
6
Als deine Mutter deinen Bruder wegen Mrs del Orbe zur Rede stellte, hat er es nicht abgestritten. Was willst du von mir, Ma? Se metío por mis ojos.
Von wegen por mis ojos, sagte sie. Tú te metiste por su culo.
Stimmt, gab mein Bruder fröhlich zu. Y por su boca.
Weil sie vor Scham und Wut nicht wusste, was sie sonst machen sollte, schlug deine Mutter ihn, worüber er nur lachte.
7
Zum allerersten Mal will eine Frau dich. Das lässt du erst mal sacken. Wälzt es durch die Pfade deiner Gedanken. Das ist verrückt, sagst du zu dir selbst. Und später gedankenverloren zu Paloma. Sie hört dich nicht. Du weißt nicht recht, was du mit diesem Wissen anfangen sollst. Du bist nicht dein Bruder, der sofort rübergelaufen wäre und seinen rabo in Miss Lora gesteckt hätte. Obwohl du es weißt, hast du Angst, dass du dich irrst. Du hast Angst, sie könnte dich auslachen.
Also versuchst du, den Gedanken an sie und die Erinnerung an ihren Bikini zu verscheuchen. Du glaubst, dass die Bombe sowieso fällt, bevor du wirklich zum Zug kommst. Als sie nicht fällt, unternimmst du einen letzten Rettungsversuch
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