Und stehe auf von den Toten - Roman
schmiegte sich an ihn wie ein kleines Mädchen, Schutz suchend. Dann erzählte sie ihm in einfachen Worten von ihrer glücklichen Kindheit, die mit dem Tod des Vaters abrupt endete. Sie stammte zwar aus altem Adel, war weitläufig mit dem Kaiserhaus verwandt, aber die Familie stand vor dem finanziellen Ruin. Deshalb wurde sie mit dem über zwanzig Jahre älteren Grafen Berthold von Stamitz verheiratet.
Plötzlich wand sich die Gräfin aus Valentis Armen, lief zum Bett und blieb an einen der Pfosten gelehnt stehen. Hinter ihr auf dem Fresko betrachtete der schwarze Diener aufreizend-voyeuristisch die Szene, die sich ihm darbot. Der Gegensatz zwischen dem Zynismus im Blick des
Schwarzen und der verletzlichen Haltung der Frau erschütterte Valenti.
Die Gräfin hatte am Pfosten des Himmelsbettes Halt gefunden und sprach weiter. Nach und nach erst begriff er, was sie ihm fast tonlos erzählte. »Stamitz hat mich nach der Hochzeit nicht angerührt, bis zum heutigen Tag nicht. Doch ich war kaum in seinem Haus angekommen, da ließ er mich von ein paar Knechten vergewaltigen. Und er, er hat dabei voller Vergnügen zugesehen. Und so ist es geblieben, nur dass ich mir heute die Hengste selber aussuche, die mich unter seinen Blicken besteigen.«
Valentis Kopf fuhr wieder zu dem schwarzen Voyeur herum, und für einen kurzen Moment sah er nicht mehr dessen, sondern die Augen des Grafen Stamitz. Ihm wurde übel. »Hat er auch uns zugeschaut?«, stammelte er.
»Nein. Er gafft nur im Gesandtschaftspalais zu. Die Farnesina ist mein Refugium. Deshalb habe ich auch Poelschau bei unserem Ausritt zurückgelassen und bin geritten, so schnell ich konnte. Ich wollte verhindern, dass er uns verfolgt.«
Allmählich begann Valenti zu verstehen. Er schämte sich für das leichtfertige Urteil, das er über die Gräfin gefällt hatte. Eine Frage brannte ihm jetzt auf der Seele. »Hat dein Mann etwas mit dem Tod der Mädchen zu tun?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie leise, »aber ich fürchte es. Poelschau ist sein Diener, nicht meiner.«
»Aber...«, setzte Valenti an, doch sie fiel ihm ins Wort: »Mein Mann liebt das Marionettenspiel über alles, nur dass er statt Holzpuppen Menschen benutzt.«
»Und David von Fünen? Kennst du ihn wirklich nicht?«
»Oh doch!« Sie lachte bitter auf. »Er ist der Schlimmste von allen. Seit er bei uns ist, ist mein Mann noch viehischer
geworden. David von Fünen ist der Teufel, glaub mir. Und er hat meinen Mann in der Hand!«
»Womit?«
»Ich weiß es nicht.«
Auch auf die Gefahr hin, dass sie ihn verspotten oder wütend werden würde, rang Valenti sich zu einer letzten Frage durch. »Ist dein Mann ein Vampir?«
Ihre Antwort ließ alles offen: »Ich bin jetzt zweiundzwanzig Jahre mit ihm verheiratet, aber ich kenne ihn nicht!«
»Und Fünen?«, bohrte Valenti nach.
»Denkbar. Denkbar auch, dass er meinen Mann infiziert hat, denn seit Fünen bei uns ist, hat mein Mann das Interesse verloren, mir beim Beischlaf zuzusehen.« Die Gräfin schüttelte scheinbar über sich selbst den Kopf. »Es gab Zeiten, da war ich stolz darauf, wenn mein Mann mir dabei zusah, und ich versuchte ihn dadurch zu erregen, dass ich mich diesen gut gebauten Domestiken hingab. Später wollte ich ihn dadurch bestrafen, dass ich all diese Männer beherrschte, sie regierte, quälte und erniedrigte. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, dann sehe ich nur eine erniedrigende Orgie neben der anderen!« Sie verstummte mit einem Mal, dann straffte sie sich, ließ den Pfosten los und wandte sich ihm zu. In ihren Augen waren weder Laszivität noch Ironie, keine List und kein Kalkül zu finden. Sie wirkte nur völlig ermüdet von den ewigen Spielchen.
»Komm her«, sagte er und streckte die Hand aus.
»Nein, ich schlafe heute nicht mit dir, Valenti.« Zum ersten Mal hatte sie ihn geduzt.
»Das meinte ich nicht«, verteidigte er sich.
»Dein Verstand vielleicht nicht, aber dein Körper«, beharrte sie. Er wollte etwas erwidern, aber sie ließ es nicht
zu. »Ich kenne es von mir selbst!«, sagte sie bestimmt, dann verließ sie das Zimmer.
Er folgte ihr, aber auf der Treppe trat ihm Alvaro entgegen. »Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, Exzellenz.«
Valenti blickte an Alvaro vorbei hinter ihr her. Aber die Gräfin setzte ihren Weg die Treppe hinunter fort und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»Es ist besser, Herr Graf«, wiederholte Alvaro. Seine Stimme klang so väterlich, dass Valenti ihn verzweifelt fragte:
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