Und stehe auf von den Toten - Roman
Als sie ihn umrundet hatten, fühlte Prospero Lambertini, wie ihn jemand derb in die Seite stieß. Er wandte sich um und folgte Corazzas ausgestrecktem Arm mit den Augen.
»Pirano«, brummte der Kapitän. »Du müsstest es am Tage sehen. Eine gute Stadt.«
Ein paar Positionslichter für die Schiffe sowie etwas indirekter Schein aus Häuser- und Kirchenfenstern waren die einzigen Lichtquellen, daher konnte Prospero die Stadt aus der Ferne nur erahnen. Beim Näherkommen erkannte er jedoch, dass der Ort sich auf einer kleinen Halbinsel frech ins Meer schob, als wollte er sich über die Adria hinweg seinen italienischen Eroberern entgegenstrecken. Pirano gehörte seit Jahrhunderten der Markusrepublik Venedig. Immer deutlicher hob sich ein schlanker Turm vor dem dämmrig-grauen Himmel ab, der wie der kleine Bruder des Campanile von San Marco wirkte. Die beschauliche Hafenstadt schmiegte sich an das istrische Bergland.
Als hätten sie in Rom noch nicht genug davon gehabt, fing es jetzt auch hier an zu regnen, nur dass die Niederschläge um einige Grad kälter waren und heftiger Meerwind hinzukam. Die Regentropfen drangen wie spitze Eisdolche durch ihre Kleidung, als sie in den Hafen einliefen.
»Wir sind in ein paar Tagen zurück«, verabschiedete sich Prospero von dem Seemann und drückte ihm einige Münzen in die Hand. »Dann gibt es den Rest des Geldes.«
»Jo«, kam die einsilbige Antwort.
Gefolgt von Pepe balancierte Prospero über den schmalen Steg an Land. Am Pier blickte er sich um und hielt
einen Mann in dickem Mantel auf, bei dem er sich nach dem Minoritenkloster erkundigte. Der Gefragte schaute ihn verwundert an und sagte etwas in einer Sprache, die wie eine Mischung aus Italienisch und Spanisch klang. Venezianisch, dachte Prospero. Hilfe suchend sah er den Katalanen Pepe an, der das Gespräch übernahm. Der Einheimische wies auf einen zweiten, etwas kleineren Turm, den Prospero erst jetzt entdeckte. Pepe bedankte sich, nickte Prospero zu und ging voran. Kurz darauf kamen sie zu einer Kirche, an deren Ostseite sich ein Glockenturm erhob. Unmittelbar daneben fassten zwei mächtige Steinsäulen die Klosterpforte ein. Aus der schweren, eichenen Doppeltür sprang eine massive, aber schön gearbeitete Faust aus Bronze. Als Prospero den Türklopfer umfasste und betätigte, stieg in ihm das angenehme Gefühl der Ankunft auf. Hier würde ihm nur Gutes widerfahren. Ein schlanker Mönch in brauner Kutte öffnete. Er trug um die Hüfte einen weißen Strick, wie es bei den Kleinen Brüdern des Franziskus üblich war. Prospero reichte ihm wortlos das Schreiben des Papstes, und während er es las, begannen die Augen des Minoriten zu leuchten. Er begrüßte sie überschwänglich und führte sie ins Refektorium. Dort entschuldigte er sich und kam kurz darauf mit einem weißbärtigen Bruder zurück. Mit seinem wehenden Haarschopf und dem entschlossenen Blick glich der hünenhafte Mönch auf verblüffende Weise dem Gottvater Michelangelos, der die Decke der sixtinischen Kapelle in Rom zierte. Er stellte sich als Bruder Aureliano vor, Guardian des Klosters. Die Mönche verköstigten sie mit einer deftigen Bohnensuppe und wiesen ihnen die Zellen zu. Endlich fand Prospero den Schlaf, den er so sehr herbeigesehnt hatte.
Unmittelbar nach dem Frühstück verabschiedeten sie sich
von den gastfreundlichen Minoriten und ritten los. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, doch die Freude darüber währte nicht lange. Als sie ins Gebirge kamen, wurde es um sie herum immer winterlicher. Prospero konnte sogar seinen Atem sehen. Erst jetzt erinnerte er sich, dass der Februar im Norden mit Eis, Schnee und Kälte einherging. Sie hatten bei ihrem überstürzten Aufbruch nicht daran gedacht und erwarben im nächsten Dorf halberfroren Fellwesten, Wollschals, Handschuhe, Pferdedecken sowie Pelzmäntel und -mützen. Heißer Tee, eine kräftige Bohnensuppe mit viel Speck und ein Schnaps weckten ihre Lebensgeister wieder.
Auf ihrem Weg durch die Bergdörfer gelang es ihnen manchmal, einen einheimischen Führer aufzutreiben. Für ein doppeltes Entgelt zeigte er ihnen den schnellsten Weg, der allerdings nicht immer der ungefährlichste war. So sparten sie trotz des widrigen Wetters Zeit. Am zweiten Nachmittag erreichten sie einen Ort, der in einer Talsenke lag. Die Bewohner erklärten ihnen, dass der kürzeste Weg nach Maribor, wie sie Marburg nannten, über den Kammweg führte. Sie rieten ihnen, im Dorf zu übernachten und erst am nächsten Tag
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