Und stehe auf von den Toten - Roman
»Aber warum?«
»Sie wissen es«, erwiderte der alte Diener und ging. Valenti stolperte zur Tür, stieg in seine Kutsche und versank in Gedanken. Er hatte Maria Unrecht getan. Hatte sie als eine Frau abgestempelt, deren Verlangen unstillbar war, hatte sie beherrschen und unterwerfen wollen. Hatte er sie nicht auch nur benutzt wie alle anderen Männer?
»Wohin?«, fragte nach einer ganzen Weile sein Diener. Valenti schreckte aus seinen Grübeleien auf. Erst jetzt merkte er, dass sich die Kutsche noch gar nicht in Bewegung gesetzt hatte.
Zu Hause angekommen zwang er sich zur Ruhe und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Nach und nach fügte sich in seinem Kopf ein Bild zusammen. In Rom fiel ein Vampir junge Mädchen an. Dieser Untote war niemand anderes als David von Fünen. Der Jude stand unter dem Schutz des österreichischen Gesandten, den er womöglich auch in einen Blutsäufer verwandelt hatte. Auch wenn Cäcilia nicht im Palast der Gesandtschaft gefangen gehalten wurde, so musste sie sich doch in der Gewalt dieser Schurken befinden. Aber was nutzte ihm dieses Wissen, er würde damit weder den Papst noch den Rabbiner Corcos überzeugen
können. Er konnte nur darauf hoffen, dass die Observation ihn zu dem Ort führen würde, an dem Vellonis Schwester sicherlich verzweifelt auf Hilfe wartete.
Plötzlich riss ihn heftiges Klopfen an der Tür aus seinen Gedanken. Wer konnte das sein? Um diese Zeit? Ein so später Besucher bedeutete nichts Gutes. Wollte man ihn aus dem Weg schaffen? Nach allem, was er in Erfahrung gebracht hatte, nur zu wahrscheinlich. Die Bande hatte bisher alle angegriffen, die ihr zu nahe gekommen waren: Spigola, Prospero, und jetzt war er an der Reihe. Valenti huschte in die kleine Kammer, die hinter der Bibliothek lag, ergriff eine Pistole, spannte mit beiden Händen den Hahn des Vorderladers und schnappte sich sein Lieblingsrapier - das mit der Damaszenerklinge, die so scharf war, dass sie ein einzelnes Haar im Flug zerteilte. Das Klopfen wurde immer drängender. Sein Diener kam verschlafen mit einem knielangen Nachthemd bekleidet aus seiner Kammer. Valenti baute sich mitten im Korridor auf, in der rechten Hand die geladene Pistole, in der linken den Degen. Er war bereit. Sollte das Pack ruhig kommen. Es würde erleben, wie ein Gonzaga kämpft! Er machte dem Diener ein Zeichen. Der öffnete die Tür und verbarg sich dabei hinter ihrem massiven Holzflügel.
Valenti spähte gespannt in den Hausflur. Dort stand blutüberströmt der Rabbiner Tranquillo Vita Corcos. Die Augen füllte unaussprechliches Leid, das weiße Haar hing wirr vom Kopf. Er streckte verzweifelt die Hand nach dem Grafen aus und brach dann wortlos zusammen.
51.
P rospero blickte mit schreckgeweiteten Augen in die schwarzen Wassermassen, den nassen Tod vor Augen, als er spürte, wie jemand ihn mit hartem Griff an den Schößen seines Justacorps packte und zurück auf das Schiff riss. Er fiel auf den Hosenboden, und dicht vor ihm tauchte das stoppelige Gesicht des Capitano Corazza auf, der ihn mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Kotz nächstes Mal auf die Planken!«
Im nächsten Moment sah Prospero ihn schon beim Steuermann stehen und das Ruder übernehmen. Es schien, als sei der Sturm sein Element. Tatkräftig und geistesgegenwärtig, erwies er sich als fähiger Kapitän. Hatte Prospero noch an Pepe gezweifelt, als das versoffene Exemplar von Seemann seinen Seelenverkäufer präsentierte, so leistete er dem Katalanen jetzt Abbitte. Er hatte den richtigen Mann ausgewählt. Prospero dankte still Capitano Corazza für die Rettung, aber auch Valenti, der ihm diese Kleidung geliehen hatte. Sie war aus gutem Stoff genäht. Seine eigenen Jacken waren so fadenscheinig, dass die Rockschöße mit Sicherheit gerissen wären und er in der Adria sein Grab gefunden hätte.
Am frühen Nachmittag des folgenden Tages erreichten sie eine zerklüftete Küstenlinie, an der sie in sicherer Entfernung entlangsegelten. Prospero fühlte sich nach der stürmischen Nacht ziemlich wackelig auf den Beinen. Nach seinem kurzen Abenteuer jenseits der Reling hatte er auf dem schwankenden Schiff nur wenig Schlaf gefunden. Erschöpft stolperte er zum Bug des Schiffes und verlor sich in der Betrachtung der vorüberziehenden Landschaft.
Allmählich senkte sich die Dämmerung herab und löste die Konturen der Inseln, Felsen und Strände auf. Wie ein Buckelwal tauchte in einiger Entfernung stumm und majestätisch ein Bergrücken aus dem Wasser.
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